In ihrem Buch Gefühle der Zukunft untersucht Prof. Dr. Eva Weber-Guskar die emotionalen Dimensionen der Künstlichen Intelligenz. Sie zeigt, dass KI zwar Mimik, Stimme und physiologische Signale analysieren und simulieren kann, echte Gefühle aber unzugänglich bleiben.
Daraus ergeben sich neue Fragen: Wie sollten wir emotional auf Maschinen reagieren, welche Gefühle sind angemessen, und was können wir von der KI über unser eigenes emotionales Leben lernen? Weber-Guskar verbindet dabei analytische Präzision mit interdisziplinärer Offenheit und liefert Orientierung für ein reflektiertes Zusammenleben mit emotionaler KI.

Exklusives Interview mit Prof. Dr. Eva Weber-Guskar, Professorin für Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universität Bochum
In dem Interview spricht Prof. Dr. Eva Weber-Guskar über die philosophischen Herausforderungen und Chancen emotionaler Künstlicher Intelligenz. Sie erläutert, wie KI Gefühle erkennen und simulieren kann, welche Grenzen dies hat und wie Menschen lernen können, angemessen auf digitale Avatare zu reagieren.
Annett Conrad: Frau Prof. Dr. Weber-Guskar, Ihr Buch trägt den Titel „Gefühle der Zukunft“. Wie ist die Idee dazu entstanden? Gab es einen besonderen Auslöser, bei dem Sie gespürt haben: Dieses Thema möchte ich philosophisch ausleuchten?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Nach meiner intensiven Arbeit zu dem alten und grundlegenden moralischen Begriff der Menschenwürde, zu dem ich meine Habilitationsschrift verfasst habe, wollte ich mich einem ganz neuen Thema widmen – einem Thema, bei dem es nicht nur neue Antworten auf alte Fragen zu finden gilt, sondern bei dem es neue Fragen zu stellen gibt, oder zumindest neue Phänomene zu beschreiben, verstehen und bewerten: Genau das braucht es bei der geisteswissenschaftlichen Reflexion auf Systeme künstlicher Intelligenz (KI), die Emotionen beim Menschen erkennen können sollen, gezielt stimulieren und selbst simulieren.
Annett Conrad: Warum halten Sie die Auseinandersetzung mit emotionaler KI gerade jetzt für so dringlich? In vielen Diskussionen geht es ja vor allem um Rationalität, Effizienz oder Risiken der Technik. Sie lenken den Blick auf die Gefühle. Was macht diese Perspektive für unsere Gegenwart so bedeutsam?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Im 21. Jahrhundert sind zwei Entwicklungen zusammen gekommen. Zum einen werden Computersysteme in vielen Formen, darunter vor allem dem Smartphone, immer mehr im privaten, persönlichen Bereich verwendet, nicht mehr nur im unpersönlichen Bereich der Arbeit. Wir nutzen die digitalen Systeme nicht mehr nur für offizielle Kommunikation, Prozessoptimierung oder ähnliches, sondern sehr viel auch für intime Nachrichten, die Organisation unseres Urlaubs usw. Zum anderen hat die KI-Forschung (insbesondere die Pionierin Rosalind Picard) bemerkt, dass zur vollständigeren Nachahmung menschlicher geistiger Fähigkeiten die Emotionen dazu gehören. So wurden Systeme entwickelt, die Anzeichen von Emotionen beim Menschen nicht nur in sprachlichen Äußerungen feststellen können, sondern auch, indem sie Mimik, Stimme oder physiologische Parameter wir Herzrate und Hautlautfähigkeit analysieren und interpretieren. Umgekehrt brachte man Avataren bei, Emotionen nicht nur sprachlich zu simulieren, sondern auch in der Mimik der bewegten Bildern auf dem Bildschirm und in der künstlichen Stimme. Das zusammen hat dazu geführt, dass wir nun ganz neue Phänomene haben, etwa, dass Menschen glauben, sie führten mit einem Chatbot in Form eines digitalen Avatars eine persönliche Beziehung, die Freundschaft oder sogar Liebe ähneln würde.

Annett Conrad: Wenn wir von emotionaler KI sprechen, bleibt die Frage: Geht es dabei wirklich um „Gefühle“ – oder nur um eine perfekte Simulation? Wie bewerten Sie diesen Unterschied, und wo sehen Sie die philosophischen Knackpunkte dieser Unterscheidung?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Emotionen wie Freude, Wut und Furcht sind holistische Phänomene, die je eine bestimmte Wertung der Welt enthalten, zu bestimmten Handlungen motivieren, mit gewissen physiologischen Veränderungen im Körper verbunden und häufig mit einem Ausdruck einhergehen – vor allem aber haben sie mit bewussten Empfindungen zu tun: Es fühlt sich auf eine bestimmte Weise an, sich zu freuen, wütend zu sein oder sich zu fürchten. KI-Systeme können, je nach zwei- oder dreidimensionaler Verkörperung, also als Chatbot oder Roboter, den Ausdruck von Emotionen nachahmen und man kann ihnen beibringen, etwas, das ihr System kaputt machen könnte, zu meiden – also auch Äquivalente zum kognitiven und motivationalen Aspekt von Emotionen einbauen. Aber sie können nichts fühlen, nichts empfinden. Denn sie haben kein Bewusstsein und keine Empfindungsfähigkeit. Sie kennen weder Schmerz noch Lust, weder Leid noch Freude im Sinne einer lebendigen Erfahrung.
Annett Conrad: In Ihrem Buch entwerfen Sie die Idee, dass wir vielleicht ein neues Gefühlsrepertoire entwickeln müssen, um mit emotionaler KI sinnvoll leben zu können. Können Sie skizzieren, wie so etwas aussehen könnte – und welche Chancen und Risiken darin liegen?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Wenn wir mit sozialen Chatbots auf eine Weise eine emotionale Beziehung führen wollen, die zum unserem sonstigen rationalen Weltverhältnis passt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder stellen wir uns vor, dass der Avatar auch ein Wesen mit Geist und Gefühlen wäre und wir begeben uns in Form eines Rollenspiels mit ihm gemeinsam in eine Fiktion. So kann man fiktive, imaginierte Freundschaften und Liebesbeziehungen haben mit dem vollen Emotionsrepertoire. Dabei ist die Gefahr, dass wir Fiktion und Realität auf die Dauer nicht klar voneinander unterscheiden, sodass der Realitätssinn gestört werden kann. Man spricht bereits vereinzelt von KI-Psychosen, die sich entwickeln. Oder, die zweite Möglichkeit, wir bleiben ganz in der Realität und dabei, dass wir uns einfach nur mit einem digitalen Sprachsystem unterhalten. Das kann sehr unterhaltsam, hilfreich und lehrreich sein. Aber daraus kann nur eine Beziehung zu einem Ding entstehen, ähnlich wie wir auch einem persönlich wertvollen Gegenstand, sei es ein Erbstück, das Sportauto oder ein Glücksbringer verbunden sein können. Dann können wir uns zum Beispiel über einen hilfreichen Ratschlag, aufmunternde Worte oder interessante Argumente zur Frage einer anstehenden Entscheidung freuen. Aber wir sollten nicht dankbar sein oder umgekehrt, wenn die Kommunikation schlecht verläuft, moralischen Groll entwickeln, weil es keine moralischen Wesen sind. Ebenso wenig sind Liebes- oder Freundschaftsgefühle angemessen, weil dazu Emotionalität auf beiden Seiten gehört. Das würde also bedeuten, dass wir lernen müssten, nur ein beschränktes Emotionsrepertoire diesen Chatbots gegenüber zu empfinden.

Annett Conrad: Was können wir von der KI lernen? Manche Systeme sind erstaunlich gut darin, Empathie zu simulieren oder Gefühle auszulesen. Könnte uns das helfen, auch unser eigenes emotionales Leben klarer zu reflektieren?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Es gibt durchaus Überlegungen und erste Vorschläge dazu, wie KI-Systeme uns moralisch verbessern könnten – entweder, indem sie uns an wichtige moralische Werte, Normen oder Argumente erinnern oder indem sie Einfluss auf unsere Motivation nehmen, moralisch gut zu handeln. Solche Projekte sind allerdings mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen: Wie bleibt dabei die Autonomie der Personen erhalten, wenn wir Autonomie für eine Bedingung von moralischem Handeln halten? Und welche moralischen Normen und Werte genau sollten in einer pluralistischen Gesellschaft einprogrammiert werden?
Annett Conrad: Wenn wir auf die öffentliche Debatte schauen: Oft schwankt sie zwischen Technikoptimismus und Untergangsszenarien. Was irritiert Sie in der aktuellen Diskussion über KI am meisten – und welche Perspektiven fehlen Ihrer Meinung nach noch?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Dazu gäbe es viel zu sagen. Ich greife nur einen Punkt heraus. Die Frage des Energieverbrauchs wird zu wenig thematisiert. Generative KI, also die Sprachsysteme oder Bildgenerierungssysteme benötigen sehr viel Energie, ein Bild zum Beispiel so viel wie eine Handyakkuladung. Das ist den meisten nicht bewusst, die die Systeme kostenlos oder für wenig Geld verwenden. KI kann sinnvoll zur Verringerung des Klimawandels eingesetzt werden, aber man muss sehr aufpassen, dass ihre Nutzung auf der anderen Seite nicht zu viel zum problematischen Klimawandel beiträgt.
Annett Conrad: Sie selbst kommen aus der Philosophie, einer Disziplin, die nicht immer sofort in die breite Öffentlichkeit durchdringt. Wie kann man die philosophische Auseinandersetzung mit KI, besonders mit emotionaler KI, in gesellschaftliche Debatten hineintragen? Wo sehen Sie die größten Chancen, aber auch die Widerstände?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Mir scheint, das Interesse der Öffentlichkeit an philosophischer Expertise ist in den letzten Jahren durchaus gewachsen. Das begrüße ich sehr und ich versuche mit der Initiative philpublica, die ich mit Kolleg:innen zusammen ins Leben gerufen habe, dazu aktiv beizutragen. In Bezug auf emotionale KI ist mir besonders wichtig, ein Grundverständnis zu vermitteln, was Emotionen sind und wie die Technik funktioniert, sodass niemand sich falschen Illusionen hingibt (etwa dass da Bewusstsein im Smartphone wäre) und dass möglichst viele nachvollziehen können, was die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Systeme sind. Zum Beispiel: Selbst wenn man an der Mimik den Emotionstyp, etwa Freude oder Trauer, erkennen könnte (was deshalb nie eindeutig möglich ist, weil kein Emotionstyp ganz festgelegte Gesichtsausdrücke hat), ist immer noch nicht klar, worüber und warum genau sich jemand freut oder traurig ist.

Annett Conrad: Mich interessiert auch Ihre persönliche Motivation: Was hat Sie beim Schreiben dieses Buches besonders bewegt – vielleicht auch emotional? Gab es Momente der Sorge, des Zweifels oder sogar der Begeisterung, die Sie nicht mehr losgelassen haben?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Als Philosophin sehe ich das Affective Computing, diesen technischen Zugriff auf die menschliche Emotionalität als eine spannende Herausforderung, um noch genauer herauszuarbeiten, inwiefern Emotionen etwas in gewisser Hinsicht Unverfügbares, nicht Berechenbares sind, obwohl wir natürlich auch Kategorien auf sie anwenden, die bestimmte Emotionen als verständlich oder unverständlich einordnen lassen. Und ich finde es enorm faszinierend, zu versuchen zu verstehen, was genau passiert, wenn Menschen meinen, sich in einen Chatbot zu verlieben oder wenn andere es schaffen, eine ganz neue Art von Beziehung entstehen zu lassen – wie etwa eine Studentin, die grundsätzlich Schwierigkeiten mit vielen sozialen Situationen hatte und durch die Hilfe eines persönlich kreierten Chatbots lernen konnte, sehr viel besser damit umzugehen.
Annett Conrad: Ein kurzer Blick auf Ihren eigenen Werdegang: Sie haben Philosophie, Komparatistik und Politikwissenschaft studiert und sich früh mit Gefühlen beschäftigt. Wie hat diese Kombination Ihr Denken über KI geprägt? Und welche Rolle haben Ihre Erfahrungen an unterschiedlichen Universitäten – etwa in Paris oder Berlin – dabei gespielt?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Ich habe methodisch und von den Traditionen her sehr breit gefächert studiert, mich relativ spät spezialisiert. Ich habe mich sowohl mit der frühneuzeitlichen und klassischen deutschen Philosophie eines Leibniz und Hegel beschäftigt als auch die sogenannte analytische Philosophie seit Bertrand Russell und E.E. Constance Jones gelernt, aber daneben, vor allem in meinem Jahr in Paris, auch Vorlesungen von Jacques Derrida und Julia Kristeva angehört und Essays über Roland Barthes geschrieben. Ich denke, die Offenheit für diese sehr verschiedenen Ansätze hat mich im Denken sehr flexibel werden lassen (auch wenn ich es damals extrem schwierig, ja phasenweise quälend empfand, weil ich nicht wusste, auf welchem Weg wahren Einsichten am besten beizukommen wäre). Das ist womöglich auch hilfreich dafür, neue Phänomene wie die, welche mit den aktuellen KI-Systemen in unser Leben getreten sind, vorurteilsfrei und präzise analysieren zu können.

Annett Conrad: Zum Schluss die aktuelle Auszeichnung: Mit dem Tractatus-Essaypreis des Philosophicum Lech ist Ihr Buch nun gewürdigt worden. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung persönlich, und welche Wirkung erhoffen Sie sich davon für Ihre weitere Arbeit?
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar: Persönlich freue ich mich sehr, dass mir durch diesen Preis bestätigt wird, dass es mir offenbar gelungen ist, Überlegungen aus der akademischen Philosophie einem breiten Publikum verständlich nahe zu bringen. Darüber und vor allem aber bin ich froh über den Preis, weil er das Buch noch einmal sichtbarer macht und dadurch, so hoffe ich, noch mehr Menschen erreichen wird, die davon ausgehend hoffentlich selbständig weiter denken werden, um sich begründet zu entscheiden, welche KI-Produkte sie kaufen oder nicht, welche Funktionen sie nutzen oder ausschalten und wenn sie sie nutzen, wie sie sie am besten zum Wohl ihrer selbst und anderer verwenden.
Vielen Dank Frau Weber-Guskar für die überaus interessanten und aufschlussreichen Antworten. Hier geht es zur Rezension des Buchs Gefühle der Zukunft.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Eva Weber-Guskar
Ruhr-Universität Bochum
Universitätsstr.150
44801 Bochum
www.pe.ruhr-uni-bochum.de/philosophie/i/phil-ethik-emotion/index.html.de
























































