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Wer von Porto gen Norden fährt, zwischen Atlantik und den granitenen Rücken des Minho-Gebirges, erreicht eine Landschaft, die wie von chlorophyllgetränktem Licht durchflutet scheint.

Durchzogen von sanften Hügeln, Flussauen und immer wieder aufblitzenden Terrassen voller Reben, dehnt sich die Region Vinho Verde aus – eine der ältesten kontrollierten Herkunftsbezeichnungen Europas, seit 1908 als DOC verankert. Hier, im grünen Herzen Portugals, wird der Wein buchstäblich zur Landschaft.

Heute dominiert Guyot-Erziehung in den Weingärten des DOC Vinho Verde / © FrontRowSociety.net, Foto: Noris F. Conrad

Ein Wein aus dem Grün

„Verde“ meint nicht die Farbe des Weins, sondern die des Landes selbst – feucht, mild, in fast tropischer Fülle vegetativ. Stand April 2025 stehen 17.268 Hektar Reben hier, betreut von rund 1.400 Weinbauern. Nur 381 davon füllen selbst ab; der Rest liefert an Genossenschaften – eine Struktur, die die Identität des Vinho Verde bis heute prägt. Doch die Zeiten der anonymen Massenweine sind vorbei: eine neue Generation von Winzern definiert die Region neu.

Vinho Verde – Weinbau mit Geschichte, obwohl die DOC erst 1908 geschaffen wurde / © FrontRowSociety.net, Foto: Noris F. Conrad

Von Tafelwein zu Terroir

Die Geschichte der Region ist eine Geschichte der Wandlung. Jahrhunderte lang dominierten rote, einfache Weine, vielfach als Tafelwein konsumiert, häufig im traditionellen Enforcado-System, bei dem die Reben an Bäumen emporwuchsen, um das knappe Ackerland für andere Feldfrüchte freizuhalten. Erst nach der politischen Revolution von 1974 begann sich eine Qualitätsbewegung zu formieren. Visionäre wie Amandio Galhano, später Anselmo Mendes und die Familie Cerdeira in Monção e Melgaço, pflanzten die ersten Alvarinho-Klone aus dem galicischen Rías Baixas – der Beginn einer Renaissance.

Inzwischen liegt der Fokus auf der Produktion von Weißwein / © FrontRowSociety.net, Foto: Noris F. Conrad

Heute sind etwa 80 Prozent der Produktion Weißwein, mit zunehmendem Fokus auf Sortenreinheit und Herkunftscharakter. Das einstige Synonym für leicht moussierende, säurebetonte Alltagsweine wandelt sich zu einer Region für ernsthafte, terroirgeprägte Weißweine – und gelegentlich auch beeindruckende Schaumweine.

Neun Subregionen – neun Charaktere

Die DOC Vinho Verde gliedert sich in neun Subregionen, deren mikroklimatische Vielfalt kaum zu überbieten ist. Im Norden, an der Grenze zu Galicien, liegen Monção e Melgaço – das Epizentrum des Alvarinho. Hier, wo die Sommer kühler und die Böden von Granit und Kalk durchzogen sind, entstehen präzise, mineralische Weine mit saliner Spannung.

Entlang der Flüsse Lima, Cávado und Ave prägen maritime Einflüsse und üppiger Niederschlag den Stil: Loureiro dominiert – aromatisch, floral, mit feiner Säure und subtiler Kräuterwürze. Weiter südlich, in Sousa, Amarante, Basto, Paiva und Baião, wird das Klima kontinentaler, die Temperaturen steigen, und Sorten wie Avesso und Arinto entfalten hier ihre Struktur und Wärme.

Die Böden erzählen ihre eigene Geschichte: überwiegend Granit, mit schmalen Schieferadern, deren unterschiedliche Wasserspeicherfähigkeit die Weine prägt. Granitböden liefern straffe, lineare Profile, während Schiefer mehr Tiefe und Würze verleiht – eine geologische Vielfalt, die den sensorischen Reichtum des Vinho Verde erklärt.

Die unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten sind neben dem Mikroklima Teil der Vielfalt / © FrontRowSociety.net, Foto: Noris F. Conrad

Winzer zwischen Tradition und Avantgarde

Unter den führenden Erzeugern gilt Quinta do Soalheiro als Synonym für modernen Alvarinho – kristallin, fein mineralisch, von langer Lebensdauer. Anselmo Mendes, oft als „Godfather of Alvarinho“ bezeichnet, lotet die Bandbreite des Terroirs aus: von puristisch-stahligen Interpretationen bis zu im Holz vergorenen, texturierten Weinen. Vasco Croft von Aphros in Lima wiederum folgt biodynamischen Prinzipien; seine Weine, etwa der Loureiro „Phaunus“, vergären spontan in Amphoren – archaisch und zugleich zukunftsweisend.

Loureiro in seiner reinsten Form mit Präzession und Struktur. Constantino Ramos arbeitet minimalistisch und nach biodynamischen Prinzipien, ähnlich dem Stil von Vasco Croft
Loureiro in seiner reinsten Form mit Präzession und Struktur. Constantino Ramos arbeitet minimalistisch und nach biodynamischen Prinzipien, ähnlich dem Stil von Vasco Croft / © Redaktion FrontRowSociety.net

Quinta da Aveleda, einer der größten Produzenten, bewahrt mit Marken wie Casal Garcia die Tradition des „klassischen“ Vinho Verde – jung, leicht, prickelnd, mit nur wenig Alkohol und dem unverkennbaren Duft nach Limette, grünem Apfel und weißer Blüte. Daneben entstehen heute aber auch charaktervolle, strukturierte Weine: Avesso aus Baião, duftig und mandelblütig; Arinto mit saliner Tiefe; und Loureiro, der in seiner besten Form die aromatische Eleganz eines Sauvignon Blanc mit portugiesischer Wärme vereint.

Alvarinho – kristallin, fein mineralisch, von langer Lebensdauer ...
Alvarinho – kristallin, fein mineralisch, von langer Lebensdauer … / © Redaktion FrontRowSociety.net
... diese Rebsorte entwickelt ihr Potenzial erst recht als Reserva
… diese Rebsorte entwickelt ihr Potenzial erst recht als Reserva / © Redaktion FrontRowSociety.net

Weinbau zwischen Himmel und Meer

Die Region lebt von Kontrasten. Atlantische Feuchtigkeit trifft auf kontinentale Trockenheit; Granit auf Schiefer; Pergola auf Guyot. Der Jahresniederschlag schwankt zwischen 1.200 und 2.000 Millimeter, und die stete Gefahr von Pilzkrankheiten macht den Pflanzenschutz aufwendig. Gleichwohl wächst das Bewusstsein für nachhaltige Bewirtschaftung: Weingüter wie Quinta do Palmirinha oder Aphros arbeiten nach biodynamischen Prinzipien, manche sogar mit Demeter-Zertifizierung – in Portugal noch eine Rarität.

Für eine moderne Bewegung in Portugal brauchen wir zielstrebige Winzer, wie Fernando und João der Quinta do Palmitinha / © Redaktion FrontRowSociety.net

Stilistische Vielfalt

Das Spektrum heutiger Vinho-Verde-Weine reicht vom klassischen, zart perlenden Sommerwein bis zu ernsthaften, lagerfähigen Gewächsen mit Hefelager oder Holzfassausbau. Alvarinho bringt dabei die mineralische Klarheit eines Rieslings; Loureiro die betörende Blütenfülle; Avesso Körper und Länge. Selbst Schaumweine auf Basis von Alvarinho oder Arinto gewinnen an Bedeutung – elegant, feinperlig, stets von Frische getragen.

Vinho Verde am Wendepunkt: Statt Masse findet man prämierte Spitzenprodukte / © Redaktion FrontRowSociety.net

Sensorisch spannt sich der Bogen von Limette, Orangenzeste und Thymian bis zu Akazienblüte, Steinfrucht und nassem Granit. Am Gaumen stets präsent: die belebende Säure, das leichte Moussieren, die tänzelnde Leichtigkeit – der wahre Ausdruck eines atlantischen Klimas.

Herausforderungen und Zukunft

Vinho Verde steht an einem Wendepunkt. Klimatische Extreme, steigende Produktionskosten und das noch immer hartnäckige Image des „billigen Sommerweins“ fordern die Winzer heraus. Doch gerade die jüngere Generation begegnet diesen Herausforderungen mit Mut und handwerklichem Selbstbewusstsein. Sie setzt auf präzise Vinifikation, Ertragsreduktion und Identität statt Masse – auf Weine, die im Glas ihre Herkunft sprechen lassen.

In den Weinbergen strahlt neben der großen Rebsortenvielfalt, die pure Vitalität der Pflanzen / © Redaktion FrontRowSociety.net
Klimatische Herausforderungen werden mit Know-how begegnet, … / © Redaktion FrontRowSociety.net
… damit die Weine des DOC Vinho Verde bei internationalen Tastings brillieren / © Redaktion FrontRowSociety.net

Die grüne Renaissance

Vinhos Verde ist ein Ausdruck der Landschaft, des Klimas und der Menschen, die hier zwischen Atlantik und Gebirge leben. Seine Weine tragen die Historie des Landes, die Mineralität des Granits und die Salzigkeit der Gischt. Vom Pool bis zum Fine-Dining-Menü, vom jungen Loureiro bis zum gereiften Alvarinho im Holz – Vinho Verde begleitet das Leben in all seinen Nuancen.

Weine aus der DOC Vinhos Verde zählen zu den spannensten Entdeckungen in punkto Wein
Weine aus der DOC Vinho Verde zählen mit zu den spannendsten Entdeckungen in punkto Wein / © Redaktion FrontRowSociety.net

Die Region, einst belächelt, zeigt heute, dass sie zu den Aufstrebendsten gehört, was der europäische Weinbau zu bieten hat: ein Kaleidoskop aus Grün, Granit und Geist.

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