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Kochen als Haltung – nicht als Show. „Essen ist Verantwortung.“ – Sternekoch Norbert Niederkofler über seine Philosophie Cook the Mountain, die Berge als Inspirationsquelle und warum Nachhaltigkeit mit dem nächsten Bissen beginnt.

Er gehört zu den bekanntesten Köchen Südtirols und hat mit seiner Philosophie Cook the Mountain die internationale Spitzengastronomie herausgefordert. Statt Avocados und Zitronen setzt er auf Kräuter, Pilze und Gemüse aus den Bergen – konsequent regional, nachhaltig und ehrlich. Im Gespräch mit Annett Conrad erzählt Norbert Niederkofler, warum Respekt, Ehrlichkeit und Bescheidenheit die Leitlinien seines Lebens sind, wie schwer es war, am Anfang gegen Widerstände anzukochen, und warum er heute in jedem Gericht auch ein Stück kulturelles Erbe sieht.

Sternekoch Norbert Niederkofler (li.) im Gespräch mit FrontRowSociety Redakteurin Annett Conrad (re.)
Sternekoch Norbert Niederkofler (li.) im Gespräch mit FrontRowSociety Redakteurin Annett Conrad (re.) / © Redaktion FrontRowSociety.net

Exklusives Interview mit Norbert Niederkofler über Cook the Mountain, regionale Küche, Respekt vor Natur & Kultur, Nachhaltigkeit als Lebenshaltung

Annett Conrad: Norbert, schön, dass Sie sich Zeit nehmen. Bevor wir über Ihre Küche sprechen, würde mich interessieren: Wenn Sie auf Ihr Leben und Ihre Karriere zurückblicken – welche Werte haben Sie immer begleitet, und gibt es eine Situation, die Ihnen besonders gezeigt hat, warum diese Werte für Sie so wichtig sind?

Norbert Niederkofler: Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, dann waren Werte wie Respekt, Ehrlichkeit und Bescheidenheit immer meine Leitlinien. Respekt vor den Menschen, mit denen ich arbeite, vor den Produzenten, vor der Natur. Ehrlichkeit in dem, was auf den Teller kommt: keine Show, kein Verstecken, sondern Klarheit. Bescheidenheit, weil man nie größer ist als das, was die Natur einem schenkt. Ein Schlüsselmoment war die Entscheidung, meine Küche radikal auf regionale Produkte umzustellen. Viele haben damals gezweifelt, aber für mich war es der einzige Weg, konsequent meinen Werten treu zu bleiben.

Annett Conrad: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit einem Gast am Tisch, der noch nie von Cook the Mountain gehört hat – wie würden Sie ihm in eigenen Worten erklären, worum es Ihnen geht?

Norbert Niederkofler: Cook the Mountain ist eine Philosophie, die aus der Natur kommt. Wir kochen nur mit dem, was die Berge uns geben – zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Das bedeutet, auf Avocados oder Zitronen zu verzichten, aber dafür Aromen zu entdecken, die wirklich hier zu Hause sind. Es geht um Respekt vor den Jahreszeiten, um Kreisläufe, um Geschichten. Jeder Teller erzählt etwas über unsere Region, die Menschen und die Kultur. Am Ende ist Cook the Mountain nicht nur Küche, sondern eine Lebenshaltung: bewusst, nachhaltig, ehrlich.

Norbert Niederkofler: „Jeder Teller erzählt etwas über unsere Region, die Menschen und die Kultur.“ / © Redaktion FrontRowSociety.net

Annett Conrad: Ihre Heimat und die Berge spielen eine große Rolle in Ihrer Küche. Gibt es ein Gericht oder eine Zutat, die für Sie die Verbindung zwischen Bergwelt und Teller besonders gut zeigt?

Norbert Niederkofler: Ich spreche nicht gern über einzelne Gerichte; da könnte ich mich nie entscheiden. Was für mich wichtig ist, ist, dass mit Produkten, Menschen und Tieren respektvoll umgegangen wird und sie zu der Zeit verwendet werden, wenn die Natur dazu bereit ist. Das können Kräuter oder Pilze sein, aber auch Gemüse aus dem Garten. Es sind die einfachen Gerichte, die für mich die größte Bedeutung haben.

Annett Conrad: Gab es Momente, in denen es richtig schwer war, Ihre Philosophie in der Küche umzusetzen – vielleicht bestimmte Herausforderungen, die Sie fast zum Umdenken gebracht hätten?

Norbert Niederkofler: Natürlich gab es schwierige Momente. Am Anfang war es nicht leicht, Lieferketten aufzubauen, die wirklich nur aus regionalen Produkten bestehen. Manchmal fehlten Zutaten, die in der internationalen Küche selbstverständlich waren. Gäste fragten nach Zitrone oder der gut bekannten Gänsestopfleber – und wir mussten erklären, warum es das bei uns nicht mehr gibt. Auch wirtschaftlich war es ein Risiko, weil niemand wusste, ob die Gäste diesen Weg mitgehen würden. Doch gerade in diesen Momenten habe ich gespürt, wie wichtig es ist, konsequent zu bleiben. Aufzugeben wäre einfacher gewesen, aber nur so konnte die Philosophie wachsen.

Selbst bei der Ausstattung des Restaurants in der ehemaligen Fabrikdirektoren-Villa wurde auf authentische Accessoires wie Loden und Granspulen der gleichnamigen Lodenfabrik geachtet
Selbst bei der Ausstattung des Restaurants in der ehemaligen Fabrikdirektoren-Villa wurde auf authentische Accessoires wie Loden und Garnspulen der gleichnamigen Lodenfabrik geachtet / © Redaktion FrontRowSociety.net

Annett Conrad: Viele sehen Cook the Mountain vor allem als kulinarisches Konzept. Für Sie steckt aber mehr dahinter – gibt es ein Erlebnis oder eine Begegnung, die diese kulturelle Bedeutung für Sie besonders deutlich gemacht hat?

Norbert Niederkofler: Für mich ist Cook the Mountain nie nur ein kulinarisches Konzept gewesen. Es ist auch ein kulturelles Projekt. Besonders spürbar wurde das, als ich mit den Bauern und Produzenten gesprochen habe, die mir erzählten, wie sie früher Lebensmittel haltbar machten, wie sie Vorräte anlegten, wie Kreisläufe funktionierten. Da habe ich verstanden: Ich knüpfe mit meiner Küche an dieses Wissen an und gebe ihm eine Bühne. Es geht nicht darum, Tradition zu musealisieren, sondern sie weiterzuentwickeln. So bleibt ein kulturelles Erbe lebendig und wird Teil unserer heutigen Identität – am Herd, aber auch darüber hinaus.

Annett Conrad: Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wo sehen Sie Ihr Restaurant und Ihr Unternehmen in zehn Jahren – und was treibt Sie persönlich an, diesen Weg weiterzugehen?

Norbert Niederkofler: In zehn Jahren wünsche ich mir, dass mein Restaurant und mein Unternehmen nicht nur für Kulinarik stehen, sondern für eine Haltung. Wir werden hoffentlich ein noch stärkeres Netzwerk von Produzenten, Partnern und jungen Talenten aufgebaut haben, die diese Philosophie weitertragen. Persönlich treibt mich die Verantwortung an: gegenüber der Natur, den Menschen und auch gegenüber der nächsten Generation. Ich möchte etwas hinterlassen, das bleibt – nicht nur einen Geschmack auf der Zunge, sondern eine Inspiration, nachhaltiger und respektvoller zu leben. Erfolg ist für mich heute Wirkung, nicht Status.

Der Sternekoch und seine magischen Vorräte: eine gewachsenen Struktur aus Lieferanten und Arbeitsabläufen macht das möglich / © Redaktion FrontRowSociety.net

Annett Conrad: Sie legen Wert darauf, Nachwuchs zu fördern und mit Produzenten zusammenzuarbeiten – gibt es ein Beispiel, bei dem diese Zusammenarbeit oder Förderung Sie besonders inspiriert oder überrascht hat?

Norbert Niederkofler: Ein Beispiel, das mich besonders bewegt hat, war die Zusammenarbeit mit einem jungen Käser aus dem Mühlwaldertal. Er experimentierte mit traditionellen Methoden, aber auch mit neuen Ideen. Anfangs war er unsicher, ob sein Produkt „gut genug“ für die Spitzengastronomie ist. Heute gehört sein Käse zu unseren wichtigsten Zutaten – und er hat selbstbewusst seinen eigenen Weg gefunden. Solche Geschichten zeigen mir: Nachwuchsarbeit ist mehr als Förderung. Es ist ein gemeinsames Wachsen. Ich lerne genauso viel von ihnen wie sie von mir. Diese Energie und Neugier sind für mich unbezahlbar.

Annett Conrad: Wenn Sie an die nächste Entwicklungsstufe Ihres Unternehmens denken: Wo sehen Sie die spannendsten Möglichkeiten – in neuen Gerichten, im Erlebnis für Ihre Gäste oder vielleicht in einer ganz neuen Art, Ihre Philosophie zu teilen?

Norbert Niederkofler: Ich glaube, die spannendsten Möglichkeiten liegen darin, die Philosophie erlebbar zu machen. Nicht nur auf dem Teller, sondern als Gesamterlebnis. Gäste sollen spüren, wo die Produkte herkommen, die Menschen kennenlernen, die dahinterstehen. Vielleicht wird das in Zukunft noch stärker in Form von Projekten wie dem Ansitz Heufler sichtbar – Orte, an denen Kulinarik, Kultur und Natur miteinander verschmelzen. Natürlich entwickeln wir auch ständig neue Gerichte. Aber die größere Vision ist, dass Cook the Mountain nicht nur ein Abendessen bleibt, sondern ein Gedanke, den die Menschen mit nach Hause nehmen und sich noch lange daran erinnern.

Ein gelungener Abend im Aterlier Moessmer ist Team-Arbeit
Ein gelungener Abend im Atelier Moessmer ist Team-Arbeit / © Redaktion FrontRowSociety.net

Annett Conrad: Vielen Dank, Norbert, für diese Einblicke. Gibt es zum Abschluss etwas, das Sie unseren Lesern noch mit auf den Weg geben möchten – vielleicht einen Gedanken, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

Norbert Niederkofler: Was ich den Lesern mitgeben möchte: Essen ist nicht nur Genuss. Es ist Verantwortung. Jeder Teller, jede Entscheidung im Alltag hat Auswirkungen – auf unsere Gesundheit, auf die Menschen, die produzieren und auf die Natur. Wenn wir bewusster wählen, gewinnen wir alle. Für mich ist Kochen ein Mittel, um diesen Gedanken zu vermitteln. Am Ende geht es nicht um mich oder mein Restaurant, sondern um eine Haltung, die wir teilen können. Meine Hoffnung ist, dass immer mehr Menschen verstehen: Nachhaltigkeit beginnt beim nächsten Bissen.

Vielen Dank an Norbert Niederkofler für die aufschlussreichen Antworten, für die Zeit und für die Mühe. Hier geht es zu unserem Artikel über das Restaurant Atelier Moessmer.

FrontRowSociety Redakteurin Annett Conrad führt das Interview mit Norbert Niederkofler im August 2025.

Weitere Informationen

Atelier Moessmer
Walter von der Vogelweide Straße 17
39031 Bruneck
Autonome Provinz Bozen / Italien