Der erfolgreiche Krimi- und Sachbuchautor René Anour studierte ursprünglich Veterinärmedizin und promovierte zum Thema Pathophysiologie. Neben seiner Tätigkeit als Autor ist er als Experte für neu entwickelte Medikamente bei der European Medicines Agency tätig.
Am 12. März diesen Jahres erschien sein neuestes Buch „Tödliches Gebet“. Hier steht erneut der liebenswerten Commissaire Louis Campanard im Zentrum des Geschehens. Ein guter Grund für uns, mit dem Schöpfer des Kommissars ein Interview zu führen.

Exklusives Interview mit Autor René Anour
Annett Conrad: Herr Anour, Ihre Romane verbinden oft historische Kulissen mit Spannung – was fasziniert Sie persönlich an der Vergangenheit, und warum eignet sie sich so gut als Schauplatz für Krimis?
René Anour: Ich fand es einfach spannend die Vergangenheit und die Menschen damals auf ganz leichte Art erlebbar zu machen. Die ganze Recherche sollte man nicht merken, sondern einfach einen spannenden Krimi lesen können, bei dem man eine Reise in die Welt von damals unternimmt, ohne dass das langweilig und zu beschreibend wird. Das finde ich als Leser selbst furchtbar. Als Autor hat man eine Bringschuld, man muss Leser:innen den roten Teppich in die Geschichte ausrollen. Es darf vieles sein, aber niemals langweilig. Mittlerweile habe ich meine Liebe für die Gegenwart entdeckt und möchte auch auf absehbare Zeit in unserer Zeit bleiben. Aber auch hier ist es mir sehr wichtig, das man mit Haut und Haaren in das Sinneserlebnis und die Atmosphäre an den Handlungsorten hineingezogen wird und eine Reise unternimmt. Insofern hat sich gar nicht so viel verändert.
Annett Conrad: Wie gehen Sie bei der Recherche für Ihre Bücher vor? Gibt es eine bestimmte Quelle oder Methode, die Ihnen besonders hilft, Authentizität zu schaffen?
René Anour: Ich höre oft – und das freut mich wahnsinnig – dass die Figuren in meinen Büchern so echt wirken und dass man die Handlungsorte wirklich erlebt. Meine Recherchemethode, um da hinzukommen ist einfach Studium der Realität. Menschen faszinieren mich, ich liebe gute Gespräche und verschiedensten Menschen und diese Erlebnisse rinnen durch mein Bewusstsein in die Figuren hinein. Die Schauplätze der Bücher besuche ich natürlich, das gibt mir einen wunderbaren Vorwand in großartige Regionen wie die Provence zu reisen. Vor Ort nehme ich mir immer die Zeit, meine Sinneseindrücke möglichst detailliert zu sammeln. Wonach duftet es? Wie ist das Licht? Welche Pflanzen wachsen in der Gegend oder wie fühlt es sich an, über die Mauer eines alten Steinhauses zu streichen. Am Ende möchte ich, dass man beim Lesen wirklich dort ist und das alles erleben kann.

Annett Conrad: Sie haben Veterinärmedizin studiert – ein eher ungewöhnlicher Hintergrund für einen Schriftsteller. Inwiefern hat dieses Studium Ihren Blick auf Menschen, Situationen oder gar Ihre Erzählweise geprägt?
René Anour: Ich bin nach meinem Studium in die Forschung im Bereich Pathophysiologie gegangen und war dann im Bereich Medikamentenentwicklung tätig. Ich glaube, es hilft ungemein, wenn man nicht „nur“ Schriftsteller ist. Man kann einfach noch etwas anderes mit einfließen lassen, bei mir, und das ist im Krimi immer hilfreich, ist es alles, was mit Medizin, Medikamenten, Giften – aber auch mit der Natur und der Tierwelt zu tun hat. Die Kehrseite ist, dass ich mich im ganzen Milieu des Buchmarkts und des Schreibens manchmal fühle, als hätte ich mich bei einer Partie eingeschlichen – eben weil ich aus einer etwas anderen Welt komme, als die meisten. Das Gefühl hatte aber wohl jeder schonmal irgendwo irgendwann.
Annett Conrad: Haben Sie schon Momente erlebt, in denen sich ein Charakter oder eine Handlung ganz anders entwickelt hat als ursprünglich geplant?
René Anour: Oh ja, das passiert ständig – obwohl es total seltsam klingt. Ich überlege mir die Charaktere wirklich ganz sorgfältig. Auch ganz viele Dinge, die für die Geschichten gar nicht notwendig sind. Das hilft ungemein dabei, sie echt wirken zu lassen. Und dann entwickeln sie eben auch oft ein Eigenleben. Eigentlich hat man in einer Szene etwas bestimmtes mit ihnen vor, sie reagieren aber anders, weil es eben so besser zu ihrer Persönlichkeit passt. Das muss man als Autor dann einfach zulassen.
Annett Conrad: Ihre Bücher zeichnen sich durch atmosphärische Dichte aus – wie schaffen Sie es, beim Leser so ein lebendiges Kopfkino zu erzeugen?
René Anour: Dafür muss ich mir wirklich Zeit nehmen. Wenn es ein echter Ort ist, den Ort besuchen, viel Zeit verbringen, alles aufsaugen. Manchmal setze ich mich wirklich eine Weile hin, schließe die Augen, lausche und rieche. Das hilft mir, einen Moment und einen Ort zu Papier zu bringen und ihn erlebbar zu machen. Wenn es ein erfundener Ort ist, bediene ich mich an Sinneseindrücken von ähnlichen Plätzen und versuche, das passend zusammen zu komponieren. Die atmosphärischen Passagen, das steckt oft die meiste Arbeit dahinter. Dialoge, besonders, wenn sie auch witzig sein dürfen, gehen mir leichter von der Hand.
Annett Conrad: Wie erleben Sie den kreativen Prozess: Ist das Schreiben für Sie eher diszipliniert und strukturiert oder eher intuitiv und spontan?
René Anour: Beides, ich denke mein naturwissenschaftlicher Hintergrund, hilft mir, die Struktur nicht zu vergessen. Aber am wohlsten fühle ich mich, wenn ich einfach der Fantasie freien Lauf lassen darf.

Annett Conrad: Inwiefern fließen persönliche Erfahrungen oder Beobachtungen in Ihre Figuren ein? Gibt es vielleicht eine Figur, die Ihnen besonders nahesteht? Vielleicht sogar der liebenswerte Commissaire Campanard?
René Anour: Natürlich fließt ganz viel Persönliches in meine Figuren mit ein. Begegnungen, Gespräche, die man erlebt, das alles prägt die Figuren und insofern stehen sie mir auch alle sehr nah. Eine Figur muss mich irgendwie berühren, sonst hat sie in der Geschichte eigentlich nichts verloren. Commissaire Campanard steht mir natürlich sehr nah. Ich liebe seine unerschütterliche Menschenliebe, seinen Humor und seinen extravaganten Geschmack, und dass alles bei einem riesigen Bären von einem Mann. Ein paar dieser Eigenschaften entdecke ich schon auch bei mir – aber er ist sicher der unterhaltsamere von uns beiden.
Annett Conrad: Ihr neuestes Buch „Tödliches Gebet“ spielt erneut im südfranzösischen Grasse und verwebt religiöse Motive mit einem spannungsgeladenen Kriminalfall. Was hat Sie an diesem Setting und Thema besonders gereizt – und inwiefern spiegelt sich darin vielleicht auch ein moderner Blick auf Glaube, Macht und Moral?
René Anour: Mich reizt an der Region die sinnliche Atmosphäre – das Zusammenspiel aus südlichem Licht, Geschichte und Düften schafft eine einzigartige Kulisse. Der Kontrast zwischen der scheinbaren Idylle und den dunklen Abgründen menschlicher Natur bietet literarisch enormen Spielraum. Die religiösen Motive faszinieren mich, weil sie uralte Fragen nach Schuld, Sühne und Erlösung aufwerfen – Themen, die heute aktueller denn je sind. Im Zentrum des Romans steht das 900 Jahre alte, sehr abgelegene Kloster Sénanque. Die Mönche dort führen ein Leben, das mit unserem gar nicht vergleichbar ist. Der Kontrast zu unserem von unzähligen Ablenkungen geprägten Leben finde ich sehr spannend. In Tödliches Gebet wollte ich zeigen, wie Glaube sowohl Halt als auch Waffe sein kann, und wie Macht oft im Gewand der Moral auftritt. Der Krimi wird so hoffentlich zum Spiegel unserer Zeit – spannend, vielschichtig, menschlich.
Annett Conrad: Commissaire Campanard kehrt als Ermittler mit Ecken und Tiefgang zurück – wie hat sich seine Figur seit dem ersten Fall entwickelt, und was war Ihnen bei seiner Weiterentwicklung besonders wichtig?“
René Anour: Die Wahrheit über Campanard ist, dass hinter all seinen durchaus liebenswerten Eigenschaften ein ziemlich finsteres Erlebnis in seiner Vergangenheit lauert, das ihn erst zu dem gemacht hat, der er ist. Noch bevor ich begann, seine Geschichte zu erzählen, habe ich mir all diese Details überlegt, ohne sie gleich zu verraten. Das erlaubt mir jetzt, gemeinsam mit den Lesenden auf eine unglaublich spannende Reise zu gehen, in der ich Stück um Stück offenlegen kann, das am Ende nichts, was Campanard darstellt oder tut, Zufall ist.
So beginnt „Tödliches Gebet“ mit einer Überraschung. In einem Prolog trifft man den Commissaire einige Jahre vor den Ereignissen des Buchs als Häftling in einem Gefängnis – ziemlich gebrochen und ohne Lebenswillen. Was dahintersteckt, erschließt sich erst allmählich.

Annett Conrad: Welche Rolle spielt Wien – Ihre Heimatstadt – in Ihrem schriftstellerischen Schaffen? Ist es für Sie eher Bühne, Charakter oder Inspirationsquelle
René Anour: Ich glaube, wenn man kreativ tätig ist, ist Wien einfach eine nie enden wollende Inspiration. Hier kommt so viel zusammen. Kulturen, Milieus – und in alldem schwingt dann noch die ganze Geschichte mit, definitiv ein fruchtbarer Nährboden, der dabei hilft, dass die Ideen nie ausgehen. Während ich mit Geschichten, die in Wien spielen in meine Autorenreise gestartet bin, mache ich da gerade etwas Pause davon, auch weil ich das Gefühl habe, der Atmosphäre hier nie ganz gerecht werden zu können.
Vielen Dank Herr Anour für die spannenden Antworten. Alle, die neugierig geworden sind, können hier einen Blick ins Buch werfen:
Buchrezension: Tödliches Gebet

Weitere Informationen:
Dr. René Anour
Staudgasse 13
1180 Wien / Österreich
























































