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Er ist nicht nur Koch, er ist Kulturbotschafter, Vordenker und Gastgeber mit Seele: Mitsuharu “Micha” Tsumura hat mit Maido in Lima einen Ort geschaffen, an dem kulinarische Tradition und Innovation in vollendeter Harmonie verschmelzen.

2025 wurde Maido offiziell zum besten Restaurant der Welt gewählt – Platz 1 bei The World’s 50 Best Restaurants.

Tsumura bringt in seiner Küche die japanischen Wurzeln seiner Familie mit den Aromen und Produkten Perus in einen einzigartigen Dialog: die Nikkei-Küche, wie sie authentischer, kraftvoller und zugleich feiner kaum sein könnte. Doch hinter dem weltweiten Ruhm stehen nicht nur technisches Können und Kreativität, sondern auch Bescheidenheit, Teamgeist und eine tiefe Wertschätzung für das, was wirklich zählt.

Im exklusiven Interview mit FrontRowSociety – The Magazine spricht Mitsuharu Tsumura über das Vermächtnis seiner Küche, die Verantwortung eines Spitzenkochs – und warum wahre Größe leise beginnt.

Platz nehmen im besten Restaurant der Welt - Platz 1 bei The World’s 50 Best Restaurants
Platz nehmen im besten Restaurant der Welt – Platz 1 bei The World’s 50 Best Restaurants / © Foto: Restaurant Maido

Exklusives Interview mit Chef Mitsuharu Tsumura vom Restaurant Maido

Andreas Conrad: Herr Tsumura, was war Ihr erster Gedanke, als Maido zur Nummer eins der Welt gekürt wurde – und wie haben Sie diesen Moment erlebt?

Mitsuharu Tsumura: Das Erste, was mir durch den Kopf ging – oder besser gesagt, meine erste Reaktion – war vor allem ein Gefühl der Energie, die sich plötzlich entlud. Es war dieser eine Moment, in dem man auf ein Ergebnis wartet, vielleicht sogar darauf, als Nummer eins der Welt anerkannt zu werden. Natürlich ist es ganz normal, dabei aufgeregt zu sein.

Doch was mir sofort in den Sinn kam, war vor allem mein Team – das Team von Maido in Lima, das voller Spannung auf das Ergebnis wartete. Denn so etwas erreicht man nie allein. Ich dachte an meine Familie, die bei mir war – Mariana, meine Eltern, meine Schwester. Ich erinnerte mich an all die Jahre, in denen wir gemeinsam an dieser wunderbaren Küche gearbeitet haben: der sogenannten Nikkei-Küche, die eine große Entwicklung durchlaufen hat. Wie später auch in den Fragen erwähnt wird – sie wurde einst als bloßer Trend oder vorübergehende Mode betrachtet. Doch dieser Moment bestätigt: Diese Küche ist gekommen, um zu bleiben. Sie gehört inzwischen zu den großartigsten Küchen und ist ein fester Bestandteil der peruanischen Kulinarik.

Die Gerichte sind ein fester Bestandteil der peruanischen Kulinarik
Die Gerichte sind ein fester Bestandteil der peruanischen Kulinarik / © Foto: Restaurant Maido

Es war also ein Moment voller Emotionen – aber vor allem auch ein Moment der Gedanken an die Menschen, die mich umgeben und begleitet haben – in meinem Land und auf meinem Kontinent. Denn all das hat eine große Bedeutung und spielt eine wichtige Rolle für den Stolz, den wir für das empfinden, was wir tun.

Andreas Conrad: Wie viel von Ihrer persönlichen Geschichte – zwischen Peru und Japan – steckt in jedem Gericht, das im Maido serviert wird?

Beste Koch der Welt - Best50 Liste - Chef Mitsuharu Tsumura vom Restaurant Maido
Beste Koch der Welt – Best50 Liste – Chef Mitsuharu Tsumura vom Restaurant Maido / © Foto: Restaurant Maido

Mitsuharu Tsumura: Zu meiner persönlichen Geschichte und meiner Verbindung zu Peru und Japan – da lässt sich kein konkreter Prozentsatz nennen. So funktioniert das nicht. Ich sehe mich selbst als Japaner, bin aber in Peru geboren, lebe und verhalte mich wie ein Peruaner. Natürlich habe ich einige japanische Gewohnheiten, aber ich könnte das nicht in Zahlen ausdrücken. Ich fühle mich zu 100 Prozent peruanisch – und gleichzeitig ist meine Kultur die Nikkei-Kultur.

Deshalb ist auch meine Küche ein Spiegel davon: ein bisschen von allem. Es gibt Gerichte, die sehr peruanisch sind, andere, die klar japanisch geprägt sind, und wieder andere, die beide Kulturen miteinander verbinden. Aber ich könnte das nicht exakt aufteilen – es geschieht ganz natürlich.

Ich denke, zu versuchen, meine Küche dadurch zu erklären, wie viel Peru und wie viel Japan in jedem einzelnen Gericht steckt, wäre nicht der richtige Ansatz. Denn meine Küche ist ständig im Wandel. Sie verändert sich mit dem, was gerade verfügbar ist, mit meinen Reisen, den Orten, an denen ich Inspiration finde, den Zutaten der Saison – und auch mit den Erinnerungen, die ich mitbringe.

Sie ist freier als das, verstehst du? Natürlich spiegelt sie die Nikkei-Kultur wider, aber nicht zwangsläufig in jedem Detail. Wenn wir über meine persönliche Geschichte sprechen – ja, sie steckt in meiner Küche. Aber eben zusammen mit dem Einfluss vieler anderer Menschen, mit all den Recherchen und Studien, die wir über die Jahre hinweg gemacht haben.

Auch optisch sehr gelungen und ansprechend
Gerichte – optisch sehr gelungen und ansprechend / © Foto: Restaurant Maido

Andreas Conrad: Die Nikkei-Küche ist inzwischen weltweit bekannt. Was bedeutet es für Sie persönlich, als einer ihrer wichtigsten Vertreter nun an der Weltspitze zu stehen?

Mitsuharu Tsumura: Was die Nikkei-Küche betrifft – die mittlerweile auf der ganzen Welt bekannt ist –, genau deshalb gibt es ja auch ein Buch darüber, nicht wahr? Dieses Buch wurde 2014 neu aufgelegt und ist inzwischen sogar vergriffen. Es erzählt die Geschichte der Nikkei-Küche von ihren Anfängen an.

Ich habe es geschrieben, weil ich wusste, dass diese Küche ihren Weg machen würde. Aber es gab kein einziges Referenzwerk, das ihre Geschichte dokumentierte – mit den Menschen, die sie geschaffen haben. Menschen, die oft gar nicht wussten, was sie da eigentlich taten – wie man so schön sagt –, und dennoch entstand daraus das, was wir heute als Nikkei-Küche kennen.

Was wir getan haben, war, diese Küche weiterzuentwickeln – unseren kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass sie Anerkennung findet. Denn ich war überzeugt, dass sie eine große Zukunft vor sich hat. Es ist eine Küche, die ganz natürlich entstanden ist – nicht künstlich erzwungen. Sie hat sich in Peru entwickelt, ist dort gewachsen. Und sie ergibt Sinn, weil man sie im Kontext der peruanischen Küche erlebt, verstehst du?

Die Nikkei-Gerichte gehören ganz selbstverständlich dazu – genauso wie die italo-peruanischen Gerichte, die Chifa-Küche oder die Criollo-Traditionen. All diese Küchen tragen Einflüsse anderer Kulturen in sich und sind dennoch fest im peruanischen kulinarischen Erbe verankert. Deshalb ist es heute eine große Freude zu sehen, dass diese Küche so viel Kraft entwickelt hat – und dass sie definitiv gekommen ist, um zu bleiben.

Ein Ambiente, was man von der Optik her nicht vergessen wird
Ein Ambiente, was man von der Optik her nicht vergessen wird / © Foto: Restaurant Maido

Andreas Conrad: Wie gelingt es Ihnen, kreative Innovation mit der tiefen Verwurzelung in zwei Kulturen zu verbinden, ohne in kulinarische Klischees zu verfallen?

Mitsuharu Tsumura: Ich sage immer: Innovation in der Küche hat viel mit dem Konzept der Fusion zu tun – aber Fusion kann auch schnell zu Verwirrung führen. Deshalb, denke ich, ist eines besonders wichtig: Respekt vor dem Produkt. Solange du das Produkt respektierst, spielt es keine Rolle, welche Art von Küche du machst.

Wenn du die Augen schließt und genau weißt, was du da isst – dann ist es gut. Und du solltest stets versuchen, das Beste aus jedem Produkt herauszuholen – egal ob du kreativ kochst, traditionell arbeitest oder Einflüsse aus einer, zwei oder drei Kulturen kombinierst. Jedes einzelne Produkt, das verwendet wird, verdient Respekt. Und das Ziel sollte immer sein, seine Qualität und seinen Charakter bestmöglich zur Geltung zu bringen. Wenn das gelingt, dann ist alles, was aus Kreativität entsteht, auch berechtigt.

In der Küche wird täglich Spitzenleistung abgeliefert
In der Küche wird täglich Spitzenleistung abgeliefert / © Foto: Restaurant Maido

Andreas Conrad: Wie hat sich Ihr Führungsstil in der Küche über die Jahre verändert – besonders jetzt, da alle Augen auf Maido gerichtet sind?

Mitsuharu Tsumura: Was meinen Führungsstil betrifft, würde ich sagen, dass ich schon immer jemand war, der gerne lehrt und etwas weitergibt – ein Vermächtnis hinterlässt.
Es erfüllt mich mit großer Freude zu sehen, dass viele Köche, die heute eigene Restaurants führen, früher bei Maido gearbeitet haben. Denn das zeigt, dass die Küche, die wir hier entwickelt haben, weiterlebt und wächst – und genau das begrüße ich von ganzem Herzen.

Mir ist es wichtig, meine Philosophie und meine Sichtweise auf die Küche weiterzugeben – nicht nur innerhalb von Maido, sondern auch darüber hinaus. Es geht um Zusammenhalt, um Teamarbeit, um Geschmack – und darum, zu den Wurzeln zurückzukehren. Darum, dass deine Küche für sich selbst sprechen kann. Dass sie ein Ausdruck deiner Persönlichkeit ist. Es geht nicht darum, zu kochen, um anderen zu gefallen – sondern darum, das zu kochen, was dir wirklich am Herzen liegt. Das, was du selbst gerne isst. Mit Seele zu kochen. Mit Träumen zu kochen. Dir beim Kochen das Gesicht der Person vorzustellen, die dein Gericht essen wird – weil du möchtest, dass sie beim Essen genau das fühlt, was du beim Zubereiten gefühlt hast.

Und genau darauf lässt sich eine positive Bewegung aufbauen – eine Berufung, die viele Menschen berührt, direkt oder indirekt: in deinem eigenen Land, auf dem ganzen Kontinent und darüber hinaus in der Welt.

Seile und Taue ziehen sich durch gesamte Restaurant-Konzept
Seile und Taue ziehen sich durch gesamte Restaurant-Konzept / © Foto: Restaurant Maido

Andreas Conrad: Was bedeutet diese Auszeichnung für Ihr Team – und wie wollen Sie gemeinsam mit ihnen diese neue Verantwortung tragen?

Mitsuharu Tsumura: Der Preis – ganz klar – gehört dem Team. Zu 99,9 Prozent ist dieser Erfolg ihrem Einsatz zu verdanken. Es ist ihr Preis. Ohne dieses Team würde Maido nicht existieren. Und ich glaube, das hat man auch in unserer Kommunikation gesehen: Das Team war vielleicht sogar glücklicher als ich selbst. Jede und jeder Einzelne ist stolz darauf, bei Maido zu arbeiten, Teil im Leben anderer Menschen zu sein und durch das, was wir tun, Erinnerungen zu schaffen.

Wir werden genauso weitermachen wie bisher. Jetzt tragen wir zusätzlich die Verantwortung, zu zeigen, warum wir diesen Weg so weit gegangen sind – und vor allem: weiterhin Freude bei den Menschen auszulösen. Das ist unser oberstes Ziel. Und das Schönste daran ist: Es immer wieder aufs Neue zu schaffen. Das klingt ganz einfach – aber es ist alles andere als leicht. Es ist simpel formuliert, aber in Wahrheit sehr tiefgehend, oder? Und wir lernen ständig weiter. Wenn genau das die Kraft ist, die uns antreibt, dann – glaube ich – ist das etwas sehr Wertvolles.

Zu 99,9 % ist dieser Erfolg ihrem Einsatz zu verdanken. Es ist ihr Preis. Ohne dieses Team würde Maido nicht existieren
„Zu 99,9 Prozent ist dieser Erfolg ihrem Einsatz zu verdanken. Es ist ihr Preis. Ohne dieses Team würde Maido nicht existieren“, erzählt uns Mitsuharu Tsumura / © Foto: Restaurant Maido

Andreas Conrad: Was möchten Sie jungen Köchinnen und Köchen mitgeben, die davon träumen, eines Tages selbst die Gastronomiewelt zu erobern?

Mitsuharu Tsumura: Was ich jungen Menschen mitgeben möchte – und das sage ich oft – ist: Lernt, den Wert eurer Regionen und eurer Küche zu erkennen. In Peru zum Beispiel: die regionalen Küchen, sie sind ein Schatz.

Wie ich vorhin schon in einer anderen Antwort gesagt habe: Kocht das, was ihr seid.
Lasst eure Küche zeigen, was ihr fühlt. Seid anders. Seid einzigartig. Lasst euch inspirieren – aber kopiert nicht. Findet euren eigenen Weg. Und ja, das dauert. Es geht nicht von heute auf morgen. Ich erwarte auch nicht, dass ihr das gleich zu Beginn schafft – das wäre unrealistisch. Was ihr lernen solltet, ist: zuzuhören. Und zwar wirklich zuzuhören. Solange wir leben, sollten wir offen bleiben – für das, was wir von denen lernen können, die wir bewundern, aber auch von jenen, von denen wir es am wenigsten erwarten würden. Seid selbstkritisch. Versteht, dass alles seine Zeit hat. In einer Welt, die sich immer schneller dreht, müssen wir nicht ständig im selben Tempo mitlaufen.

Es gibt Phasen im Leben, in denen wir einfach lernen müssen – und das braucht Geduld.
Geduld, Methodik und Wiederholung machen dich irgendwann zum Experten. Wir sollten nicht versuchen, Etappen zu überspringen. Oft liegt der wahre Wert gerade in den Herausforderungen: darin, sie durchzuleben, sie – wenn nötig – zu ertragen und sie dann zu genießen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Das sind Zyklen, die wir alle durchlaufen müssen. Und ich glaube, genau das ist entscheidend – für die Entwicklung jeder Köchin, jedes Kochs – und letztlich für jeden Menschen, egal auf welchem Weg er sich befindet.

Ein herzliches Dankeschön an Mitsuharu Tsumura, uns an seiner Freude über den großen Erfolg teilhaben zu lassen.

FrontRowSociety Herausgeber Andreas Conrad führte das exklusive Interview mit Chef Mitsuharu Tsumura vom Restaurant Maido in Juli 2025. Die Antworten wurden aus dem Spanischen übersetzt.

Weitere Informationen:

Restaurant Maido
Ca. San Martín No. 399
Miraflores 15074
Peru