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Kochbücher kommen nie aus der Mode! Dieser Weisheit folgt nun auch die gestandene Falstaff-Redakteurin Ilse Fischer. Ihre jahrzehntelange Arbeit in der „Kulinarik-Branche“ macht sie zu einer Kennerin der Szene.

Nicht zuletzt untermauert die ihre Tätigkeit als Slow-Food-Präsidentin und Kuratorin vieler kulinarischer Veranstaltungen, wie beispielsweise das „eat&meet“ Festival in Salzburg, ihre Expertise. Das Erscheinen ihres Kochbuchs „Pasta al Pomodoro“ nehmen wir zum Anlass, ein Interview mit der österreichischen Kulinarikexpertin zu führen.

Statt Blaue Gans: rosa gebratene Entenbrust mit Shiitake Pilzen, Tropea Zwiebel und hausgemachte Erdäpfel-Gnocchi
Einfach gutes und authentisches Essen – nicht mehr und nicht weniger soll’s sein / © Redaktion FrontRowSociety.net

Exklusives Interview mit Ilse Fischer, Falstaff-Redakteurin und Slow-Food-Präsidentin

Annett Conrad: Frau Fischer, Sie sind eine echte Kultur-Netzwerkerin – als Journalistin, Kuratorin, Gastgeberin und Slow-Food-Präsidentin. Was treibt Sie an? Was verbindet all diese Rollen?

Ilse Fischer: Das Leben als Zusammenspiel von Kunst, Kulinarik und Lebensstil – das könnte es sein, denke ich. Dazu besondere Freundschaften aus allen Bereichen. Vielleicht war es auch ein wenig Glück, dass mein Leben seit vielen Jahren mit einer besonderen Mischung aus lebendigen Freundschaften mit Menschen bereichert wurde, die, wie ich, ihre Lebensfreude und ihren Lebenssinn aus der Kultur und dem Genuss schöpfen. Das war mein verstorbener Mann Michael, der Kulturphilosoph war, das sind KöchInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, Gemüse- und Fischhändler, Edelgreißler, Käsebauern oder Metzger aus Leidenschaft. Diese besondere „Mischung“ lebendig zu halten, treibt mich an. Unser Esstisch in Anif ist der Ort, an dem in kunterbunten Runden und bei gutem Essen über all die Themen philosophiert wird, wo Neues entsteht und Altes in Ehren gehalten wird. Vielleicht ist es so mit den Geschenken des Lebens, man muss zu ihrer Tafel finden.

Annett Conrad: Sie haben das Kulinarik-Festival „eat&meet“ in der Salzburger Altstadt über viele Jahre kuratiert. Wie hat sich die Wahrnehmung von Kulinarik in dieser Zeit verändert? Und welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für eine bewusste Esskultur?

Ilse Fischer: Die Idee hinter dem Festival, wie ich es damals kuratierte, war ein Dialog der Besonderheiten mit vielfältigen Genussfacetten, der ein weltoffenes, interessantes und kulinarisches Zusammenkommen fördern und Menschen dazu einladen sollte, ihre Horizonte zu erweitern, nicht nur kulinarisch. Das gilt noch immer. Vom Einfachen das Beste wäre meine Idee für die Zukunft. Kein Unterscheiden zwischen Fine-Dining- Hochgenuss, einfachen Speisen oder gesunden Alternativen. Butterbrot oder Hummersuppe? Beides. Wichtig ist nur die Qualität. Und heute, wo Regionalität und die Rückbesinnung auf die Gerichte von Müttern und Großmüttern so normal ist wie noch nie, muss ich oft an meine eigene Mutter denken. Sie kochte mit dem, was im Garten war, was ihr der Metzger beim Einkauf empfohlen hat, was eben gerade Saison hatte. Von ihr habe ich damals gelernt und vieles von dem, ist heute Trend. Wenn wir uns darauf besinnen, was guter Geschmack ist, dann braucht es keine Trends und die Esskultur kommt von allein. Manchmal Fleisch mit Herkunft, Gemüse und Obst in der Zeit, in der es in der Region wächst. Dazu eine Prise Offenheit mit Gewürzen aus aller Welt, das ist für mich Esskultur.

Journalistin, Autorin, Kuratorin und Slow-Food_Präsidentin Ilse Fischer
Journalistin, Autorin, Kuratorin und Slow-Food_Präsidentin Ilse Fischer / Foto: Neumayr/Leo

Annett Conrad: Als Präsidentin von Slow Food Salzburg setzen Sie sich für bewussten Genuss ein. Was bedeutet Slow Food für Sie persönlich?

Ilse Fischer: Slow, aber von kompromisslose Qualität, das möchten wir, Alexandra Picker, meine Mit-Präsidentin und ich, auch in Salzburg mit Slow Food in den Köpfen der Menschen verankern. Verantwortungsbewusster Genuss braucht Verstand, Lust und Zeit. Mit jeder Mahlzeit treffen wir eine Entscheidung – für oder gegen regionale, saisonale und fair produzierte Lebensmittel – es liegt ganz an uns. Für mich gilt „Mittel zum Leben“ sind viel mehr als nur Konsumprodukte – sie bedeuten gemeinsamen Genuss, Authentizität, Kultur, Geschichte und Glück.

Annett Conrad: Wie sehen Sie die Zukunft der europäischen Esskultur? Wird die Industrialisierung weiter zunehmen oder gibt es eine Rückbesinnung auf Traditionen?

Ilse Fischer: Ganz klar – die Rückbesinnung auf Traditionen, verbunden mit einem Blick über den berühmten Tellerrand hinaus. Und, hier wiederhole ich mich gerne, wenn möglich kompromissloses Qualitätsbewusstsein, das ganz sicher nicht immer eine Frage des Geldes ist. Vielleicht manchmal nur eine Frage des Nachdenkens, wo man seine Lebensmittel einkauft und ob es wirklich alles zu jeder Jahreszeit sein muss. Dazu kommt nachhaltiges Denken. Slow Food steht für lebendige, nachhaltige, regionale und saisonale Produkte. Das wäre für mich auch die Zukunft der europäischen Esskultur. Und dafür setze ich mich ein.

Annett Conrad: Sie sind viel in Frankreich und Italien unterwegs. Welche kulinarischen Unterschiede faszinieren Sie am meisten? Gibt es ein kulinarisches Erlebnis, das Sie besonders geprägt hat?

Ilse Fischer: Ich bin an der Grenze zu Italien aufgewachsen und seit meinem siebzehnten Lebensjahr eine „Französin des Herzens“. Kein Wunder also, dass mich beide Länder auch kulinarisch geprägt haben. Hier wie dort liebt man es, zusammenzukommen, um gemeinsam zu kochen, zu essen und dabei schon wieder über weitere gemeinsame Kochsessions oder Produkte zu diskutieren. Vielleicht ist das der größte Unterschied zu Österreich, außer natürlich, man sitzt bei mir zu Tisch. Nein, ernsthaft, Italien und Frankreich sind für mich die Orte, an denen ich mir vor allem auf den Märkten viele Inspirationen hole, seit viele Jahren. Museen und Märkte sind für mich die ersten Orte, die ich besuche, wenn ich in eine Stadt oder in ein Land komme. Zwei kulinarische Erlebnisse unter vielen, die mich prägten: Die erste Kaki als kleines Kind an einem eisigen Wintertag in Udine, frisch vom kahlen Baum gepflückt, der wie eine blattlose Skulptur mit seinen orangen Früchten im Garten der Freunde meiner Eltern stand. Den damals unbekannten, überraschenden, köstlichen Geschmack spüre ich bis heute auf meiner Zunge. Ich liebe Kakis bis heute. Und dann, viel später, ein Essen auf der Terrasse des „Le Petit Nice“ in Marseille mit zwei Menschen, die in meinem Leben sehr wichtig waren. In einer schönen Keramikform wurde eine pochierte (regionale) Gänseleber gebracht, duftend, herrlich, einzigartig, unvergesslich.

Giuliofranco de Angelis - der Wildspargel-Connaisseur des Val d'Orcia
Kochen und Essen gehören zum guten Lebensgefühl von Ilse Fischer / © Redaktion FrontRowSociety.net

Annett Conrad: Ihr jüngstes Buch „Pasta al Pomodoro“ widmet sich einem scheinbar einfachen Gericht. Warum gerade dieses Thema?

Ilse Fischer: Als ich vor einigen Jahren bei Niko Romito (3 Sternekoch aus Rom) sein Signature Dish „Spaghetti e Pomodoro“ auf der Speisekarte entdeckte, war ich zuerst erstaunt, dann, nach dem Genuss, erfreut. Und fragte nach dem Rezept, und staunte wieder. Wenige Zutaten, einfache Zubereitung, einzigartiger Geschmack. (Das Rezept ist  natürlich im Buch) Und da formte sich die Idee, weitere KöchInnen zu fragen, ob auch sie ein Rezept für Pasta al Pomodoro hätten. Ich entdeckte, dass es so ein Buch tatsächlich nicht gab, was angesichts der Kochbuchfülle ebenso erstaunlich wie unfassbar war. Mein Verlag, der Christian Verlag, München), war von Anfang an begeistert und so ist diese Idee nun in Buchform da. Und macht mich sehr glücklich. Und viele Menschen lächeln, wenn sie das Buch sehen – denn ganz viele haben ihre ganz eigene Pasta-al-Pomodoro-Erinnerung.

Annett Conrad: Welche Überraschungen haben Sie bei der Recherche zu „Pasta al Pomodoro“ erlebt? Haben Sie ein Rezept für die ultimative Tomatensauce entdeckt?

Ilse Fischer: Die Überraschung war, dass fast ausnahmslos alle, die ich fragte begeistert zugesagt haben und mir viele, auch sehr berühmte KöchInnen, mit sehr herzlichen Worten dafür dankten, bei so einem besonderen Projekt dabei sein zu dürfen. Das ist das Schöne am Essen und bestätigt alles, was ich vorher in meinen Antworten gesagt habe – gemeinsamer Genuss verbindet, schafft Beziehungen, teilt Geschichten und erzählt manche von ihnen fort, lässt so neue entstehen. Nein, das ultimative Saucenrezept habe ich nicht gefunden, aber das ist ja das Besondere an diesem Buch. Jeder hat ein eigenes Rezept, eine eigene Geschichte dazu. Und jeder, der das Buch anschaut, kann nachkochen, seine eigene Zutat hinzufügen, vielleicht zwei Rezepte verbinden.

Pasta al Pomodoro - das neue Kochbuch von Ilse Fischer
Pasta al Pomodoro – das neue Kochbuch von Ilse Fischer / © GeraNova Bruckmann Verlagshaus GmbH

Annett Conrad: Was möchten Sie Ihren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?

Ilse Fischer: Kochen Sie, entdecken Sie und seien Sie auch einmal mutig. Verbinden Sie ihre eigene Kochgeschichte mit neuen Ideen, die Sie vielleicht auf Reisen oder in Kochbüchern (auch in meinem Pasta al Pomodoro Buch, hoffe ich) gefunden haben. Und essen Sie gemeinsam mit Menschen, die Ihnen wichtig sind oder wichtig werden sollen. Denn nichts verbindet so sehr, wie eine gemeinsame Mahlzeit. „Amalgamare“ (verschmelzen) steht in meiner Einleitung des Buches. Das gelingt den Tomaten mit den Gewürzen und der Pasta, aber auch den Menschen an einem Esstisch.

„Die schönste Gegend ist ein gedeckter Tisch.“ sagte der österreichische Dramatiker Johann Nepomuk Nestroy. Laden Sie Menschen an ihren gedeckten Tisch, um miteinander manche genussvolle „Gegend“ zu erkunden.

Ich bedanke mich bei Ilse Fischer für die ausführlichen und aufschlussreichen Antworten. 

FrontRowSociety-Herausgeberin Annett Conrad führte das Interview mit Ilse Fischer im März 2025. 

 

Weitere Informationen 

Ilse Fischer
Hellbrunnerstraße 65
5081 Anif
Österreich / Salzburger Land