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Eine der wohl bekanntesten Größen im Bereich Biodynamie ist Dr. Georg Meissner. Mit seiner Tätigkeit als Lehrkörper an der Hochschule Geisenheim legt er die wissenschaftlich Fundamente des biodynamischen Weinbaus und trägt darüber hinaus zu dessen Weiterentwicklung sowie zu dessen positiver öffentlichen Wahrnehmung bei.

Die Frage nach umweltverträglicher Landwirtschaft wird immer dringlicher. Nicht nur die Natur krankt, sondern auch wir Menschen. Der Weinbau ist eine Sparte der Landwirtschaft und natürlich rückt dieser bei uns im Magazin in den Fokus. Auf unseren Reisen begegnen wir immer wieder Menschen, die die kosmischen Zusammenhänge respektieren, ja diese mit jeder Faser leben. Daher lag ein Interview mit Dr. Georg Meissner auf der Hand.

Auch auf den Weingütern am Lago Trasimeno wird Weinbau im Einklang mit der Natur betrieben
Es geht um Biodynamie – Weinbau im Einklang mit der Natur / © Redaktion FrontRowSociety.net

Exklusives Interview mit dem assoziierten Wissenschaftler für biodynamischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim Dr. Georg Meissner

Annett Conrad: Sie sind ein überzeugter Vertreter des biodynamischen Weinbaus. Inwiefern halten Sie Biodynamie nicht nur für eine nachhaltige Option, sondern für eine Notwendigkeit angesichts der aktuellen Herausforderungen im Weinbau?

Dr. Georg Meissner: Für mich ist die biodynamische Landwirtschaft vom Grundsatz her eine der modernsten Betrachtungen der Landwirtschaft. Es ist für mich faszinierend, wie Rudolf Steiner schon sehr stark in die Zukunft vorausschauend vor 100 Jahren, im Jahr 1924, schon so eine ganzheitliche, systemische Betrachtung der Landwirtschaft im Zusammenwirken mit Mensch, Region und Umwelt entwickeln konnte.

Mittlerweile haben sich ja andere ganzheitliche Ansätze (viele von ihnen übrigens oft von der Biodynamie stark inspiriert) entwickelt, wie Permakultur, Agroforst, regenerative Landwirtschaft und natürlich der ökologische Landbau.

Für mich geht es in der Zukunft nicht darum welche dieser Ansätze nun der Beste ist, sondern meine Frage ist es: Was bedeutet es, ein guter Bauer zu sein? Wie kann die Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag für die Zukunft der Menschheit und der Welt gestalten? Welche Art von Landwirtschaft ist zukunftsfähig?

Bei der Lösung dieser Fragen kann die biodynamische Landwirtschaft eine entscheidende Rolle spielen, da nun seit über 100 Jahren ganzheitliche Erfahrungen auf der ganzen Welt mit dieser Form der Landwirtschaft gemacht wurden. Diese Erfahrungen kann und muss die biodynamische Bewegung in den Gestaltungsprozeß einer zukunftsweisenden Landwirtschaft mit einbringen.

Annett Conrad: Kritiker werfen der Biodynamie vor, dass einige ihrer Prinzipien wissenschaftlich nicht hinreichend belegt sind. Wo sehen Sie die Grenzen der biodynamischen Methoden, und gibt es Bereiche, in denen Sie auf konventionellere Ansätze zurückgreifen würden?

Dr. Georg Meissner: Das stimmt überhaupt nicht! Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen auch in hochgerankten Wissenschaftsmagazinen wie z.B. „science“ und „nature“.

Ich selbst habe ja im Rahmen meiner Doktorarbeit den Systemvergleich INBIODYN an der Hochschule Geisenheim angelegt, bei dem wir seit mittlerweile fast 20 Jahren die 3 Anbausysteme „integriert“, „biologisch-organisch“ und „biologisch-dynamisch“ miteinander vergleichen und einige Veröffentlichungen hierzu gemacht.

Tolle Ergebnisse, die ich mit viel Spannung lese, sind Veröffentlichungen zum Mikrobiom und zur Epigenetik, das sind Felder der Wissenschaft die uns dabei helfen, die ganzheitlichen Ansätze der biodynamischen Wirtschaftsweise jetzt gut und seriös wissenschaftlich abzubilden.

Dr. Georg Meissner, Assoziierter Wissenschaftler für biodynamischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim
Dr. Georg Meissner, Assoziierter Wissenschaftler für biodynamischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim / © Foto: Dr. Georg Meissner

Annett Conrad: Ihr beruflicher Weg hat Sie von der Forschung über die Lehre bis hin zur praktischen Arbeit in Weingütern geführt. Was waren die prägendsten Stationen auf Ihrem Weg zum Experten für biodynamischen Weinbau?

Dr. Georg Meissner: Die prägendsten Erlebnisse waren immer wieder der Kontakt mit Menschen, welche eine Tiefe Verbindung zu ihrem Hof, zur Natur aber auch zu ihren Mitarbeitern durch die Beschäftigung mit der Biodynamie entwickeln konnten. Meine Liste an Menschen, die mich tief inspiriert haben, ist sehr lang. Von kleinen Betrieben bis hin zu Betrieben von über 1000 Hektar. Überall war es die Begeisterung und Passion der Menschen für Qualität, Schönheit und der Sinnhaftigkeit, etwas für sich selbst und die Natur zu tun.

Ich sehe es als großes Privileg an, dass ich durch meine Tätigkeit wirklich die ganze Welt bereisen durfte und all diese Menschen, Initiativen und Höfe kennenlernen durfte. Dadurch habe ich glaube ich einen guten Überblick. Diese Sätze hier schreibe ich gerade in Kalifornien. Ich bin zutieftst dankbar für all diese inspirierenden Begegnungen.

Annett Conrad: Sie haben intensiv zur Biodynamie geforscht. Welche Ihrer Erkenntnisse halten Sie für besonders richtungsweisend, und wo sehen Sie noch Forschungsbedarf, um biodynamischen Weinbau weiterzuentwickeln?

Dr. Georg Meissner: Wie oben schon beschrieben, beobachte ich mit Spannung die Forschungsprojekte zu Mikrobiom und Epigenetik. Da ist wirklich viel Erkenntnisgewinn noch drin. Mit der Naturwissenschaft kommen wir mit den Methoden, die wir haben mittlerweile gut voran, was Messungen im Physischen und Lebendigen angeht.

Biodynamie geht aber weit darüber hinaus. Wir müssen weitere Methoden entwickeln, um die „Seelenebene“ und natürlich auch die biographischen Zusammenhänge des Hofes im Zusammenklang mit seiner Region, den Menschen und der Dorfgemeinschaft oder Stadt zu bewerten.

Für Christoph Baron sind seine Kaltblüter nicht nur reine Arbeitstiere
Biodynamischer Weinbau ist eine Kreislaufwirtschaft, die unter anderem die Arbeit mit Pferden implementiert. Für Christoph Baron, Inhaber des biodynamischen Weinguts Cayuse in Walla Wala, sind seine Kaltblüter nicht nur reine Arbeitstiere / © Redaktion FrontRowSociety.net

Annett Conrad: Sie unterrichten an der renommierten Hochschule Geisenheim. Wie reagieren Studierende auf das Thema Biodynamie, und welche Rolle spielt sie in der Ausbildung zukünftiger Winzer und Önologen?

Dr. Georg Meissner: Ich bin in Geisenheim seit nunmehr fast 20 Jahren. Der Hauptgrund für mich dort weiterhin zu arbeiten, ist der Kontakt zu der jungen Generation. Da sind tolle junge Menschen am Heranwachsen! Das Interesse an der Biodynamie ist groß.

Es ist so wunderbar diese Menschen dann später wieder irgendwo in ihrem Berufsalltag zu treffen. Ich habe den Eindruck, dass jedes Jahr die Fragen dieser Generation intensiver und durchdringender werden. Das ist für mich als Lehrkraft eine Herausforderung und hält mich jung und ich muss immer wieder Altes in Frage stellen, Neues entwickeln und einfach an der Entwicklung dranbleiben. Das macht wirklich Spaß!

Annett Conrad: Das Weingut Alois Lageder gilt als Vorreiter der Biodynamie. Welche Ansätze konnten Sie dort umsetzen oder weiterentwickeln, und welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihrer Zeit dort mitgenommen?

Dr. Georg Meissner: Da könnte ich jetzt ganz lange darüberschreiben. Es war eine wunderbare, anstrengende aber auch sehr inspirierende Zeit!

Alois Lageder ist ein großer Betrieb mit vielen Mitarbeitern und aber auch einigen Traubenlieferanten. Die Zusammenarbeit mit den Menschen, diese begleiten zu dürfen, zu versuchen ihnen Stütze bei der Umstellung zu sein, ihnen die Ängste zu nehmen usw. waren sehr bereichernd für mich. Ich habe sicherlich nicht alles richtig gemacht, aber das ist ja normal.

Was für mich wirklich toll ist, wie wir bei Lageder auch wieder die Tiere in einen Weinbaubetrieb in Zusammenarbeit mit anderen Bauern der Region integrieren konnten. Das war und ist schon eine beispielhafte Entwicklung, welche Schule machen sollte.

Weingut Alois Lageder - Lebendiger Boden, vitale Reben, erstklassiger Wein und dazu jede Menge Herzblut bei der Arbeit
Auch das Weingut Alois Lageder begleitete Dr. Georg Meissner auf dem Weg zum biodynamischen Weinbau / © Alois Lageder

Annett Conrad: Sie bewirtschaften auch eigene Weinberge in Frankreich. Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise dort von anderen Projekten, an denen Sie beteiligt waren, und was macht Ihre Weine besonders?

Dr. Georg Meissner: Meine Weinberge im Roussillon sind einfach ein unglaublicher Kraftort mit einem Blick auf den Pyrenäenhauptkamm, die Katharerburgen und das Mittelmeer. Das Grundgestein ist Gneiss, Granitverwitterung welche eine unglaubliche frische und Mineralität in die Weine bringen.

Ich habe die Parzellen im Jahr 2006 gekauft. Vor allem war mir der alte Carignan Weinberg wichtig, welcher im Jahr 1899 gepflanzt wurde. Ich wollte einfach die alte Genetik erhalten, das sind Pflanzen, die es so heute nicht mehr gibt. Seit einigen Jahren vermehre ich die Stöcke auch weiter und einige befreundete Winzer/Innen haben sich schon bedient und jetzt steht diese Genetik auf anderen Standorten und lebt und entwickelt sich weiter. Es ist jedes Jahr toll, diese alten Reben schneiden zu dürfen. Das sind Skulpturen. Und die Vorstellung, wer schon vor mir diese Pflanzen seit nunmehr 125 Jahren geschnitten und gepflegt hat, ist mir immer wieder eine Inspiration.

Jedes Jahr kommen auch immer wieder Freunde aus der ganzen Welt zum helfen und sich inspirieren lassen, dieses Jahr waren wir beim Rebenschneiden aus Deutschland, Georgien, Südafrika, Italien und Spanien. Da trifft sich die Welt.

Bezüglich Vinifikation mache ich nicht viel, die Weine sprechen für sich selbst und sind einfach ein toller Ausdruck des Terroirs und der dortigen Zusammenhänge.

Über einhundert Jahre alten, wurzelechte Reben tragen eine authentische DNA / © Redaktion FrontRow Society.net

Annett Conrad: Wein ist immer auch Ausdruck einer Philosophie. Welche Botschaft soll in Ihren Weinen spürbar sein, und wie verbinden Sie Tradition mit Innovation im biodynamischen Weinbau?

Dr. Georg Meissner: Für mich ist es wichtig, in Weinen die Lebendigkeit als Ausdruck des Zusammenklangs von Menschen, Tier, Pflanze und Mineralwelt zu spüren.

Tradition und Innovation stehen sich nicht im Wege, so lange sie sich in den Dienst des Hervorhebens dieser Zusammenhänge stellen.

Annett Conrad: WelchenStellenwert genießt die Biodynamic Wine Fair innerhalb der Branche und welche Impulse gehen von der Messe aus?

Dr. Georg Meissner: Sie ist dabei sich zu entwickeln. Letztes Jahr war es eine tolle erste Veranstaltung. Ich glaube, dass sich diese „Fair“ in Zukunft gut etablieren wird.

Vielen Dank an Dr. Georg Meissner für die spannenden und aufschlussreichen Anworten.

FrontRowSociety Redakteurin Annett Conrad führte das Interview mit Dr. Georg Meissner im März 2025.

Weitere Informationen:

Dr. Georg Meissner
Hauptstraße 68
73253 Weilheim an der Teck
Deutschland