Versteckt im grünen Villenviertel von Obermais, leicht erhoben über der Stadt Meran, liegt ein Haus, das still und kraftvoll zugleich von einer besonderen Lebensgeschichte erzählt: die Villa Freischütz.
Ihre Fassade trägt noch die Spuren einer Epoche, in der man nicht bloß wohnte, sondern ein ästhetisches Ideal verkörperte. Gebaut 1909 im sogenannten Heimatschutzstil von einem Meraner Metzger mit Leidenschaft fürs Jagen, wurde sie 1921 zum Zuhause der aus Barcelona stammenden Familie Fromm – und damit zur Bühne eines Lebens zwischen Kur, Kunst und Kosmopolitismus.

Von Barcelona nach Meran – Ein Familienepos
Franz Fromm war ein ungewöhnlicher Mann. Deutscher Herkunft, erfolgreicher Weinhändler in Spanien, Messweinlieferant, Ehemann einer wohlhabenden Peruanerin – doch hinter all dem ein Familienmensch, der seine fragile Gesundheit ernst nahm. Herzprobleme führten ihn früh nach Meran, wo er mit Frau und Kindern die kalten Monate verbrachte. „Vom September bis Ende Mai“, wie es in den alten Aufzeichnungen heißt, residierte die Familie in Kurhotels und Pensionen, bevor sie in den warmen Monaten in die Pyrenäen reiste.

Meran versprach Heilung: eine trockene, milde Winterluft, stille Spaziergänge entlang der Passer, die tägliche Traubenkur – das leise Ritual eines Lebens zur Erhaltung von Kraft und Gesundheit. Der behandelnde Arzt kam aus München, und es hieß: Beim Spazieren wird geschwiegen, und lange Röcke sind zu vermeiden – sie wirbeln zu viel Staub auf.

Sammelleidenschaft als Lebensform
Doch Franz Fromm suchte nicht nur Genesung. Er sammelte. In der Villa häufte sich im Laufe der Jahre eine erstaunliche Vielfalt an Objekten an: exotische Fächer, Papiertheater mit Szenen aus dem „Freischütz“, sakrale Kunst, Kinderwerkzeuge aus Wien, ein spanischer Globus aus Pappmaché mit Planetarium im Inneren. Alles, was von Welterfahrung und Bildung zeugte, fand hier seinen Platz.



Die Kinder wurden von Musik- und Kunstlehrerinnen unterrichtet, die Gouvernanten sprachen mehrere Sprachen, und die schwedische Künstlerin Ellen Tornquist erteilte Zeichenunterricht – ihre Werke sind heute als größte Sammlung weltweit in der Villa zu sehen. Franz Fromm war streng, aber auch fürsorglich, fast mütterlich. „Er war in seiner Rolle eher die Mutter“, erinnert sich ein späterer Familienbericht – für einen Mann, der 1857 geboren wurde, ein bemerkenswerter Wesenszug.


Das Haus als Erzählraum
Die Villa Freischütz wurde über drei Generationen hinweg nicht nur bewohnt, sondern durchlebt. Und vielleicht ist es diesem Umstand zu verdanken, dass sie heute kein klassisches Museum ist, sondern ein erzählender Ort. Die Enkelin Franz Fromms, Rosamaria Navarini, die letzte Bewohnerin, bewahrte die Räume und Erinnerungen mit einer Hartnäckigkeit, die aus Verlust geboren wurde. „Ich wollte alles bewahren und das ganze Erbe unter einem Dach haben“, sagte sie einst.


Nach dem Tod geliebter Menschen zog sie sich zurück, galt manchem als sonderbar, doch sie war beseelt von einem Gedanken: Das Haus sollte erzählen – nicht ausstellen. Heute kann man sich in der Villa auf ein Sofa setzen, eine Tasse aus dem alten Service in die Hand nehmen, eine Schreibmaschine ausprobieren, in handgeschriebenen Haushaltsbüchern blättern. Es gibt keine klassischen Ausstellungstexte. Stattdessen führen Themenräume durch Erinnerungen, die zwischen Staub und Goldschimmer liegen.


Persönliche Geschichten und offene Räume
Einige Räume sind nur mit Führung zugänglich – sie erzählen besonders persönliche Geschichten, etwa von den „Problemkindern“ der Familie, einem Sohn mit Skoliose, einem geistig zurückgebliebenen Bruder, die beide wie selbstverständlich zum Familienleben gehörten. Auch das war Teil der Philosophie Fromms: Jeder sollte dazugehören. In Peru finanzierte die Familie sogar ein Lazarett.


Der historische Wert des Hauses erschließt sich nicht nur durch seine Architektur – eine gelungene Synthese regionaler Bauweise mit deutscher Handwerkskunst – sondern vor allem durch das Erleben. Das geschwungene Treppenhaus, die farblich abgestimmten Interieurs, handgefertigte Deko-Schablonen, der Kachelofen – alles blieb in Funktion. Selbst kleinste Objekte, wie gestopfte Tischtücher oder handgemachte Puppenhäuser, erzählen vom Leben der Familie und ihrer obsessiven Sammelleidenschaft.


Vom Messihaushalt zum Erlebnismuseum
Rosamaria Navarini, die das Erbe ihres Großvaters gegen alle Widerstände bewahrte, starb 2013. Noch zu Lebzeiten gründete sie eine Stiftung, die heute das Hausmuseum betreibt. Seit 2019 ist die Villa für die Öffentlichkeit zugänglich. Ein Team aus Ehrenamtlichen, Kuratorin Ariane Karbe aus Berlin und viele kulturbegeisterte Hände haben ein Museum geschaffen, das berührt, ohne zu beschweren. Hier stehen keine Vitrinen zwischen Besucher und Vergangenheit. Hier darf man stöbern, staunen, Platz nehmen und eintauchen.


Wechselausstellungen greifen auch globale Themen auf – etwa den Salpeterkrieg in Südamerika, in dem Familienmitglieder verwickelt waren. Auch ein Maler, Schwiegersohn der Fromms, lebte einst hier. Seine Aquarelle, oft vom Krieg gezeichnet, ergänzen das Bild dieser vielstimmigen, kosmopolitischen Familie.


Hotelempfehlung: Stilvoll nächtigen – direkt gegenüber in der Villa Irma
Wer den Charme des Villenviertels nicht nur tagsüber erleben möchte, findet fast direkt gegenüber der Villa Freischütz eine elegante Unterkunft: die Villa Irma. Mit liebevoll restaurierter Jugendstil-Architektur, üppigem Garten und Blick über die Dächer Merans bietet sie genau das richtige Ambiente für Reisende mit Sinn für Ästhetik und Geschichte. Das Haus verbindet zurückhaltenden Luxus mit familiärer Atmosphäre – der perfekte Ausgangspunkt, um Meran zu entdecken oder einfach nur im Schatten der Zypressen das Gesehene nachklingen zu lassen.

Tipp: Die Villa Freischütz ist jeweils nur für eine begrenzte Zeit geöffnet – meist ab Ostern. Es empfiehlt sich daher, den Besuch frühzeitig zu planen und eventuell an einer der Sonderführungen für Einheimische oder Kleingruppen teilzunehmen. Wer das Glück hat, Rosamarias Küche mit dem alten Holzofen zu sehen – inklusive Waffeleisen –, versteht sofort: Hier wohnt Erinnerung.
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