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Reiz des Schreckens:

Dark Tourism, auch bekannt als „Schwarzer Tourismus“, bezeichnet das Reisen zu Orten, die mit Tod, Leid, Katastrophen oder menschlichen Tragödien verbunden sind. Besucher zieht es an ehemalige Kriegsgebiete, Katastrophenorte, Gefängnisse, Folterstätten oder Schauplätze politischer Gewalt. Der Reiz liegt dabei nicht nur im morbiden Interesse, sondern auch im Wunsch nach historischer Reflexion oder emotionaler Auseinandersetzung mit dem Schrecken.

Typische Ziele und Hotspots für schwarzen Tourismus

Weltweit existieren zahlreiche Anziehungspunkte für Dark Tourists, zu den bekanntesten Dark Regionen zählen folgende sieben:

Tschernobyl, Ukraine: Der Ort der Atomkatastrophe von 1986 zieht jährlich Tausende an.

Auschwitz-Birkenau, Polen: Das ehemalige Konzentrationslager dient als Mahnmal für den Holocaust.

Ground Zero, New York: Die Gedenkstätte des 11. September ist sowohl Ort des Gedenkens als auch touristischer Anziehungspunkt.

Nordkorea: Für politisch interessierte Reisende bietet das abgeschottete Land eine bizarr kontrollierte Einsicht in eine Diktatur.

Hiroshima, Japan: Der Ort des ersten Atombombenabwurfs gilt als Symbol der Kriegsfolgen.

Ruanda: Gedenkstätten des Völkermords ziehen Besucher an, die sich mit den Gräueltaten der 1990er Jahre auseinandersetzen wollen.

Kolumbien: In Medellín und Umgebung finden Touren zu Schauplätzen des Drogenkriegs und Pablo Escobars Wirkens statt.

Wer betreibt Dark Tourism?

Die Zielgruppe ist vielfältig. Neben Historikern, Journalisten oder politisch Interessierten finden sich auch Abenteurer, Instagram-Reisende und Bildungsreisende unter den Besuchern. Besonders jüngere Erwachsene mit akademischem Hintergrund oder gesteigertem Interesse an Zeitgeschichte sind oft vertreten. Manche suchen Authentizität und Konfrontation mit der Realität, andere schlichtweg den Nervenkitzel.

Zwischen Bildung und Sensationslust

Die Motive sind nicht immer eindeutig. Während manche das Gedenken an Opfer oder die historische Aufarbeitung in den Vordergrund stellen, geraten andere Besucher durch pietätloses Verhalten in die Kritik. Selfies an Massengräbern oder respektlose Kleidung in Gedenkstätten haben Diskussionen über Ethik und Verantwortung von Touristen entfacht.

Risiken und Gefahren

Dark Tourism kann mit realen Risiken verbunden sein – besonders in politisch instabilen Regionen. In Ländern wie Afghanistan, Syrien oder dem Sudan ist Reisen lebensgefährlich. Auch in weniger akuten Krisenregionen wie Nordkorea, Venezuela oder dem Iran besteht ein erhöhtes Risiko durch staatliche Repression, Naturgefahren oder mangelnde medizinische Versorgung.
Versicherungen schließen solche Reisen oft aus, und staatliche Warnungen heben hervor, dass Hilfe im Notfall stark eingeschränkt sein kann.

Wenn etwas passiert – wer hilft?

Bei Notlagen können sich Reisende an die Botschaft ihres Heimatlandes wenden. Die Unterstützung reicht von der Ausstellung eines Ersatzpasses über die Vermittlung medizinischer Hilfe bis hin zur Organisation einer Rückreise. Allerdings gilt: Die Hilfe ist begrenzt – personell, logistisch und rechtlich.

Ein Anspruch auf Rettung oder Evakuierung besteht nicht. Zudem müssen alle Kosten selbst getragen werden, sei es für Rückflüge, medizinische Versorgung oder Notunterbringung. Staaten wie Deutschland verlangen oft eine Kostenübernahmeerklärung oder stellen die Leistungen später in Rechnung.

Dark Tourism bewegt sich zwischen Bildungsreise und Sensationsdrang, zwischen Erinnerungskultur und Abenteuerlust. Wer sich auf diese Form des Reisens einlässt, sollte sich nicht nur über die ethischen Implikationen im Klaren sein, sondern auch über die realen Gefahren – und die Verantwortung, die damit einhergeht.

Weitere Ziele und Regionen für Dark Tourism

Pripjat, Ukraine

Die Geisterstadt in der Nähe von Tschernobyl wurde unmittelbar nach dem Reaktorunglück evakuiert. Zurückgelassene Schulen, Wohnungen und Spielplätze lassen die Katastrophe greifbar werden. Pripjat ist ein beklemmendes Zeitdokument der sowjetischen Atompolitik.

Tuol-Sleng-Gefängnis (S-21), Phnom Penh, Kambodscha

Das Foltergefängnis der Roten Khmer war ein Zentrum des Schreckens. Heute beherbergt es ein Museum, das die Brutalität des Pol-Pot-Regimes dokumentiert und an die rund 17.000 Häftlinge erinnert, die von hier aus in die Todeslager deportiert wurden.

Aokigahara-Wald, Japan

Am Fuße des Fuji liegt der sogenannte „Selbstmordwald“, ein düsterer Ort mit hoher Suizidrate. Besucher berichten von bedrückender Atmosphäre. Der Ort ist umstritten – zwischen voyeuristischem Interesse und respektvollem Gedenken an menschliche Verzweiflung.

Vukovar, Kroatien

Im Kroatienkrieg schwer zerstört, wurde die Stadt zum Symbol des jugoslawischen Zerfalls. Heute erinnern Ruinen, ein Massengrab und ein Gedenkmuseum an die Belagerung von 1991. Vukovar steht für ethnische Konflikte und die Zerstörung durch moderne Kriegsführung.

Robben Island, Südafrika

Auf der ehemaligen Gefängnisinsel war Nelson Mandela 18 Jahre inhaftiert. Heute ist sie UNESCO-Welterbe und Gedenkstätte für den Kampf gegen Apartheid. Ex-Häftlinge führen durch die Anlage und berichten aus erster Hand von der Unterdrückung.

Dachau, Deutschland

Das erste Konzentrationslager des NS-Regimes wurde 1933 errichtet und diente als Modell für spätere Lager. Die Gedenkstätte zeigt Originalbauten, Dokumentationen und Zeitzeugenberichte. Dachau steht für die Anfänge des industriellen Terrors der Nationalsozialisten.

Oradour-sur-Glane, Frankreich

Die Ruinen des Dorfes wurden nach einem SS-Massaker 1944 als Mahnmal belassen. 642 Zivilisten wurden ermordet. Heute zeugen verbrannte Fahrzeuge, zerstörte Häuser und ein Museum von der Gräueltat und halten die Erinnerung an die Opfer wach.

Fukushima, Japan

Nach dem Tsunami 2011 kam es zum Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima. Geführte Touren führen in teilweise zugängliche Sperrzonen. Die Region zeigt eindrucksvoll die langfristigen Folgen atomarer Katastrophen und bietet einen Einblick in den Wiederaufbauprozess.

Kolmanskop, Namibia

Diese Geisterstadt war einst ein blühendes Diamantenzentrum. Nach dem Niedergang in den 1950er Jahren wurde sie vom Wüstensand verschluckt. Verlassene Villen, Schulen und ein Krankenhaus geben einen surrealen Einblick in kolonialen Reichtum und Verfall.

Goma, Demokratische Republik Kongo

Am Rande aktiver Vulkane gelegen, war Goma immer wieder Schauplatz von Kriegen, Vulkanausbrüchen und humanitären Krisen. Trotz aller Gefahren wagen sich Abenteuerreisende dorthin, angezogen von der extremen Kombination aus Naturgewalt und menschlichem Leid.

Bataclan, Paris, Frankreich

Der Musikclub wurde 2015 Ziel eines Terroranschlags mit 90 Toten. Heute erinnert eine Gedenktafel an die Opfer. Für viele steht der Ort symbolisch für das Trauma Europas angesichts des islamistischen Terrors.

Cajamarca, Peru

In dieser Region wurde 1532 der Inka-Herrscher Atahualpa von den Spaniern gefangen genommen und ermordet – ein Wendepunkt in der Geschichte Lateinamerikas. Historische Stätten und Museen erzählen vom Untergang der Inka-Zivilisation und kolonialer Gewalt.

Srebrenica, Bosnien-Herzegowina

Ort des schlimmsten Massakers in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Über 8.000 bosnisch-muslimische Männer und Jungen wurden 1995 von serbischen Truppen ermordet. Eine Gedenkstätte und ein Museum dokumentieren das Verbrechen und fordern Erinnerung und Gerechtigkeit.

Pompeji, Italien

Die antike Stadt wurde 79 n. Chr. vom Vesuv verschüttet. Die gut erhaltenen Ruinen zeigen das Leben – und den plötzlichen Tod – einer römischen Stadt. Die eingefrorenen Leichname erschüttern bis heute und machen Pompeji zu einem Klassiker des Dark Tourism.

Unsere Fragestellung: Muss Thanatourism sein?

Thanatourism wirft zunehmend ethische und gesellschaftliche Fragen auf. Kritiker sehen in der wachsenden Popularität solcher Reisen eine problematische Entwicklung hin zu Voyeurismus und moralischer Entgrenzung. Orte, an denen Menschen massenhaft gestorben sind – ob durch Krieg, Genozid oder Katastrophen – werden zu „Sehenswürdigkeiten“ stilisiert, die oft nicht dem Gedenken, sondern der Selbstdarstellung und Unterhaltung dienen.

Selfies in Auschwitz, Videos aus der Sperrzone von Tschernobyl oder Führungen durch ehemalige Gefängnisse, bei denen Täter romantisiert werden, illustrieren, wie leicht sich Erinnerungskultur in Sensationskonsum verwandeln kann. Besonders problematisch ist die Kommerzialisierung von Leid: Veranstalter verdienen an der Geschichte anderer Menschen, oft ohne Rücksicht auf deren Nachfahren oder das kulturelle Gedächtnis. Der schmale Grat zwischen Aufklärung und Ausbeutung wird dabei häufig überschritten. Auch das Verhalten mancher Touristen lässt Empathie vermissen – pietätlose Kleidung, respektlose Fotos oder uninformierte Fragen verletzen nicht selten die Würde der Orte und der Betroffenen. Wenn Leid zur Kulisse für „Erlebnisse“ wird, stellt sich die Frage nach der moralischen Verantwortung. Thanatourism kann zwar zur historischen Bildung beitragen – doch ohne Achtsamkeit und Ernsthaftigkeit droht er, das Gedenken zu entwerten und menschliches Leid zur Ware zu machen.

Unser persönliches Fazit:

Nein, Thanatourism bzw. schwarzer Tourismus muss nicht sein! Daher haben wir diesen informativen Artikel auch ohne Bilder veröffentlicht!