Jo Pfisterer ist Produktionsleiter und Önologe im Weingut Alois Lageder in Südtirol. Seit 2014 ist er auf dem Weingut tätig, seit 2016 hat er die oben genannte Position inne. Er ist Teil eines Teams, das das Demeter-zertifizierte Weingut als Flaggschiff des biodynamischen Weinbaus etablierte, nicht nur in Südtirol.
Wir sprachen Jo Pfisterer im Hinblick auf die Biodynamic Wine Fair, die am 27. und 28. April 2025 in Mainz stattfindet, über die Zukunft und die Chancen der Biodynamie im Weinbau.

Exklusives Interview mit Jo Pfisterer, Önologe des Weinguts Alois Lageder
Annett Conrad: Herr Pfisterer, Sie und Clemens Lageder haben sich während ihres Studiums in Geisenheim kennengelernt. War es für Sie beide sofort klar, dass Sie fortan zusammen an gemeinsamen Projekten arbeiten wollen?
Jo Pfisterer: Nein, dieser Gedanke ist mit der Zeit entstanden und Clemens wäre hier der bessere Ansprechpartner, da er seitens seines Vaters, sobald klar war, das Clemens in den Betrieb eintreten wird, den Rat bekam sich nach Menschen umzusehen, mit denen er gerne die Zukunft des Weinguts gestalten würde.
Clemens und ich haben uns beim biologisch-dynamischen Weinbauprojekt, unter Betreuung von Georg Meißner kennen gelernt. Völlig frei des Rucksacks eines Unternehmens, dass mir im Übrigen nur am Rande ein Begriff war. Bei meinem ersten Besuch in Südtirol, 2009 mit der Berufsschulklasse, haben wir nicht den Betrieb Lageder besichtigt, da er sich zu diesem Zeitpunkt in Umbauarbeiten befand. So konnten sich Clemens und ich ganz frei von eventuellen gemeinsamen Projekten anfreunden, was auch guttat, da die Geisenheimer Zeit zwar super intensiv und schön war, uns beiden aber auch der Weintunnel ab und an zu eng werden kann. Bei der Abschlussfeier meiner Frau in Geisenheim, hat mich Clemens dann auf eine Zusammenarbeit angesprochen. Ich war mit meiner Masterthesis an der BOKU-Wien beschäftigt und hatte noch keine Pläne für die Zeit danach. Deshalb wurden wir uns einig das in Form eines Praktikums auszuprobieren. Meine erste Lese im Weingut Lageder war der Jahrgang 2014. Er fasziniert mich noch heute, denn es waren zwar kleine Erträge und ihm ging ein schwieriges Jahr voran, aber die Weine spiegeln den kühlen Herbst wider und haben ein sehr schönes Säurespiel. Aus diesem Praktikum ist dann eine feste Stelle und letztlich meine heutige Position des Produktionsleiters entstanden, die ich nach langer Zusammenarbeit, von Georg Meißner übernommen habe. Seit 2015 ist auch Clemens voll in das Weingut eingestiegen und heute haben wir ein tolles, diverses Team mit vielen jungen Kolleginnen und Kollegen, aber zum Glück auch mit erfahrenen Teammitgliedern.

Annett Conrad: Welche Philosophie verfolgen Sie bei Ihrer Arbeit als Kellermeister, insbesondere im Hinblick auf die Verbindung von traditionellen Vinifizierungsmethoden und zeitgemäßen Innovationen?
Jo Pfisterer: Zuallererst würde ich mich nicht als Kellermeister bezeichnen. Meine Aufgabe im Unternehmen ist es, in enger Abstimmung mit Clemens sowie gemeinsam mit unserer Kellermeisterin Paola Tenaglia und unserer Außenbetriebsleiterin Katherina Alverá möglichst authentische Weine unter möglichst gesunden landwirtschaftlichen Bedingungen herzustellen. Was den Ansatz unserer Arbeit anbelangt, halte ich es mit Rainer Zierock: „Die allzu starke Anwendung von Technik in der Oenologie kann zu einer Banalisierung des Weines führen“ [S. 43, Das Pentagon von Rainer Zierock, 1995]
Wir wollen neugierig bleiben, keine Dogmen zulassen und den Moment sowie das Team (Team Keller, Team Weinbau, Winzerpartner:innen) sprechen lassen. Dabei kann Technik helfen, sie steht jedoch nicht im Vordergrund unseres Handelns, denn die handwerkliche Herangehensweise steht für uns nicht im Widerspruch zu unserer Größe und bildet das Zentrum unserer täglichen Arbeit.
Die Weinbranche würde ich nicht per se als innovativ bezeichnen. Dementsprechend ist es bei uns häufig eine Neuinterpretation oder Weiterentwicklung älterer Methoden. Es soll überhaupt nicht darum gehen, das Rad neu zu erfinden. Ich denke, bei terroir-orientierten Weinen wäre das ein Schritt in die falsche Richtung. Vielmehr können Gedanken auch mit Blick auf alte Zeiten an Fahrt aufnehmen: Wie wurden Weine vor der Industrialisierung und Standardisierung hergestellt? Welchen Wert hatten sie, nicht zwingend monetär, sondern vielmehr für die Menschen damals, und welches Geschmacksbild entstand? Dadurch nähert man sich beispielsweise rasch dem Thema Schalen oder auch Stielgerüste an. Denn wahrscheinlich haben einige Weine, eben auch Weißweine, die bei uns ungefähr 70 Prozent unserer Vinifikation ausmachen, bis sie in Bütten oder Karren das Hoftor erreichten, nicht unbedingt völlig intakt, eine Art Mazerationszeit erfahren. Danach wurden sie, aufgrund fehlender Hilfsmittel, viel freier und unkontrollierter vinifiziert, als wir das heute (oftmals auch zum Glück) können. Natürlich war das Resultat bestimmt häufig auch wenig genussbringend, beziehungsweise viel häufiger fehlerhaft. Aber durch diese Gedanken und beispielsweise das Einbeziehen von Schalen, eventuell auch Stielgerüsten, in die Weißweinvinifikation erhalten wir phenolisch ausgeprägtere Weißweine, die vielleicht auch komplexer und vielschichtiger sind, als würden wir sie unmittelbar pressen und danach unter sehr kontrollierten und standardisierten Bedingungen ausbauen. Dadurch dürfen sie mehr Charakter zeigen.
Auf der anderen Seite ist es sehr begrüßenswert, dass wir dank Technik, Know-how und gewisser Hilfsmittel schneller und gezielter eingreifen können, sobald wir das für richtig empfinden, um fehlerhafte Weine zu vermeiden. Problematisch wird es für mich, wenn Hilfsmittel von Ausnahmesituationen zur Regel werden und wenn Standardisierung und Technik den Wein von einem Kulturgut hin zum industriellen Getränk degradieren. Wenn Charakter verloren geht, ist das schade. Neben der unabdingbaren Handarbeiten im Weingarten, spielt hier die Technik eine wichtigere Rolle. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigeren Gestaltung des Weinbaus beitragen.

Annett Conrad: Das Weingut Alois Lageder ist bekannt für seine biodynamische Bewirtschaftung. Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie im Weinberg und Keller um, um diese Prinzipien zu verwirklichen?
Jo Pfisterer: Unser Leitfaden ist der italienische Demeter Standard. Er gibt uns einen Rahmen vor. Innerhalb dieses Rahmens, ist es meiner Meinung nach sehr wichtig einen individuellen Zu- und Umgang mit der biodynamischen Methode zu finden. Die biologisch-dynamische Bewirtschaftung wird erst durch die Menschen lebendig die sie ausführen, hängt stark vom Ort an dem sie ausgeübt wird ab und ist wie alles im Wandel, beziehungsweise frei nach Hartmut Rosa in Resonanz mit ihrer Umwelt. Konkrete Maßnahmen für unseren Außenbetrieb sind sicherlich die biologisch-dynamische Kompostierung, die wir konstant weiter entwickeln und auch in die Betriebe unserer Winzerpartner:innen bringen.
Die Präparate, die wir teils selbst fertigen und teils von, oder in Zusammenarbeit mit der ARGE (Arbeitsgemeinschaft für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise Bozen-Trient VFG) beziehen, einer sehr engagierten Gruppe, die von großer sozialer und fachlicher Bedeutung für die regionale Biodynamik ist, stehen im Zentrum der Arbeit in den Weingärten und anderen landwirtschaftlichen Flächen. Aber auch das Element Tier haben wir in unseren Außenbetrieb integriert, bevor es ab einer gewissen Betriebsgröße verbindlich wurde, seitens Demeter Italien. Mit einem Ochsenbestand der sich auf drei Standorte in unseren Weingärten über den Winter verteilt und den Sommer auf der Alm verbringt, nähern wir uns dem Ideal einer Kreislaufwirtschaft einen kleinen Schritt an.
Im Keller würde ich den wichtigsten Ansatz anhand von Worten meiner Kollegin Marion Pedron (Verantwortlich für unser Labor und mitverantwortlich für die Organisation im Keller) beschreiben: „Wir haben verdammt wenig Standardisierung für unsere Größe“. Es drückt unsere tägliche Arbeit gut aus. Wir versuchen jedem Wein, jeder Entscheidung und jeder Konsequenz daraus, das Individuelle zu Grunde zu legen. Es gibt keine Rezepte die Jahr für Jahr abgespult werden und jeder Jahrgang, beziehungsweise die unterschiedlichen Komponenten eines Verschnitten, können unterschiedliches Handeln erfordern.
Ansonsten verstehe ich unsere Vinifikation als Sprachrohr des Terroirs. Mit der einfachen Prämisse- desto weniger wir zusetzen, desto mehr spricht das Terroir, wollen wir in unseren Weinen unsere Arbeit, die Region und natürlich den Genuss abbilden. Der einzige Zusatz unserer Vinifikation der überall vorgenommen wird, ist der Schwefel.
Ich würde niemals behauten wir machen die besten Weine in der Region, da Geschmack immer subjektiv bleiben soll. Vielmehr freue ich mich wenn innerhalb dieser wunderschönen und vielfältigen Region in den Dolomiten, unsere Weine wiedererkennbar sind und ein Fragment eines großen Ganzen abbilden, das den Menschen schmeckt und Freude spendet.
Annett Conrad: Wie hat sich der biodynamische Weinbau in Südtirol in den letzten 20 Jahren entwickelt, und welche Rolle spielt das Weingut Alois Lageder dabei?
Jo Pfisterer: Da ich erst seit zehn Jahren in Südtirol bin, schildere ich hier eine Melange aus eigener Wahrnehmung und aus Erzählungen mir nahestehender Personen. Alois Lageder, in Person unseres Seniorchefs, hat sich in den 90er Jahren, inspiriert von seiner Mutter, die ihren Gemüsegarten nach Maria Thun geführt hat, gedanklich mit der biologisch-dynamischen Methode und der Anthroposophie befasst. Konkret erfolgte die Umstellung von integrierter zu biologisch-dynamischer Bewirtschaftung von 2004 bis 2007, was die familien-eigenen Flächen anbelangt (Heute ca. 53 HA, Weingärten, dazu noch Gemüsebau, Agroforstflächen, Parkanlagen und Wald).
Das Weingut Loacker hingegen gilt als das erste Südtiroler Weingut, das die biologisch-dynamische Bewirtschaftung anwandte. Andrew Lorand wird mir von vielen Kollegen als Wegbereiter der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in Südtirol genannt. Es entstand eine Gruppe um Lorand, die weit über Loacker und Lageder hinaus noch heute Anwender ist. Ich würde uns als Weingut Alois Lageder keine gesonderte Rolle bei diesem Prozess zuschreiben. Heute, auch dank des Einsatzes von Georg Meißner, haben wir 14 Winzerinnen und Winzer, die biologisch-dynamisch zertifiziert sind, von insgesamt 60 Winzerpartner:innen, die seit der Ernte 2024 alle mindestens biologisch-organisch zertifiziert sind. Georg Meißner hat auch im biologisch dynamischen, vieles im Weingut Alois Lageder, aber auch in Südtirol bewegt.
Ich würde die Gemeinschaft als die wichtigste Rolle definieren. Wir als Weingut bieten eine Plattform für unsere Winzer:innen, aber auch eine Schnittstelle zur ARGE Südtirol (Arbeitsgemeinschaft für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise Bozen-Trient VFG), die ich heutzutage für das wichtigste Organ der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in Südtirol halte. Wir begreifen unsere Rolle eher als Verantwortung, da wir als größerer Betrieb teilweise mehr Möglichkeiten haben, zum Beispiel Risiken einzugehen oder bei der Vinifikation zu experimentieren. Gerade bei den freien Weinbauern, kleineren, selbstvermarktenden Betrieben finden sich viele Beispiele der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung, und diese Weingüter bilden für mich sehr wichtige Facetten des Südtiroler Weincharakters ab.

Annett Conrad: Sie haben am Kometen-Projekt mitgewirkt, das Raum für Experimente bietet. Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen, und wie beeinflussen diese Ihre aktuelle Arbeit?
Jo Pfisterer: Die Kometenlinie steht sinnbildlich für Neugierde, Freiheit und manchmal auch für Provokation. Sie steht in Resonanz zu unserer Arbeit, der Wahrnehmung von Wein und der Situation am Markt. Durch die Kometen, die meistens nicht einem vorab definierten Konzept entspringen, können wir Experimente aus dem Keller oder dem Weingarten ins Glas einschenken, die in unserem (zu großen ;)) Portfolio keinen Platz haben.
Die 33 Weine, die sich in unserem Sortiment auf drei Linien verteilen (Basis = Klassische Rebsorten | Mitte = Kompositionen | Spitze = Cru), nehmen den Großteil unserer Arbeit ein. Hier streben wir einerseits nach Authentizität und Jahrgangscharakter, andererseits wollen wir einen roten Faden durch das Sortiment und die Jahrgänge weben. Für Extreme ist hier kein Platz.
Durch die Kometen können wir noch mehr ins Risiko gehen, freier interpretieren und kommunizieren bewusst, dass es, trotz häufig sehr kleiner Auflagen, nicht unsere besten Weine sind (obwohl das durchaus auch mal passieren kann). Diese Weine sollen vielmehr dazu anregen, den Diskurs über den Geschmack wieder verstärkt zu führen. Ist das gut? Ist das typisch? Was macht das geschmacklich mit einem? Fragen, die durch diese Weine, manchmal auch provokant, gestellt werden und einen Diskurs anregen sollen.
Diese experimentelle Linie, die um die anderen drei Linien herumschwirrt, stellt insofern Freiheit dar, als dass ein Komet auch für immer verglühen kann. Vielleicht kommt er aber auch periodisch wieder, und vielleicht wird er auch zum Fixstern als Teil unseres Portfolios oder als Komponente in einem Wein unseres Portfolios.
Wichtige Erkenntnisse aus diesen Experimenten waren die Interpretation atypischer oder auch autochthoner Rebsorten. Ebenso der Umgang mit Steilgerüst und Schale, auch unter Berücksichtigung des Faktors Zeit. Der Ansatz des Jahrgangsverschnittes im Gegensatz zum jahrgangstreuen Wein, aber auch das König Zufall, kann, wenn man das zulassen kann und erkennt, mitunter die besten Geschichten schreiben.
Annett Conrad: Sind PIWI-Sorten ein Thema für Sie bzw. für das Weingut Alois Lageder?
Jo Pfisterer: Speziell in letzter Zeit wächst dieses Thema, dass auch unsere Außenbetriebsleiterin Katharina Alverá konstant weiterverfolgt und durch unsere Kellermeisterin Paola Tenaglia mit ihrem Team vorurteilsfrei aufgenommen wird. Wir sehen Piwis als einen wichtigen Bestandteil eines nachhaltigeren Weinbaus. Als ein Fragment eines größeren Bilds. Einen Baustein. Wie groß dieser Baustein im Gesamtkonstrukt sein wird, wird sich meiner Meinung nach immer deutlicher zeigen.
Im Moment ist es wichtig so viel Erfahrungswerte wie möglich aufzubauen und auszutauschen. Wie bei allen anderen Sorten, ist es wichtig noch besser zu verstehen auf welchen Standorten für Piwis welches Potenzial herrscht. Ich versuche oft über den großen Vorteil hinaus, nämlich eines immens verminderten Pflanzenschutzes, die Sorten ausschließlich anhand ihrer Qualität als Wein zu bewerten und bin überzeugt- was gute Qualität mit sich bringt, wird sich durchsetzen.
In meiner Wahrnehmung wird gerade vieles erst erlernt. Welcher Standort für welche Piwis wiederum welches Ergebnis bringt. Wie erfolgt der anschließende Ausbau und welches Potenzial ergibt sich daraus?
Schon jetzt ist klar, dass viele dieser neuen Sorten mehr können als klassische Einstiegsqualitäten zu produzieren, sofern sie in Lagen gepflanzt werden die nicht weinbau-unwürdig sind und nur durch die Piwi-Sorten zu einem Weinbaustandort werden. Sie müssen auch in guten, oder auch sehr guten Lagen erprobt werden.
Erst dann kann ihr Potenzial seriös und umfassender beurteilt werden. Wenn das Ergebnis stimmt, wird auch eine Nachfrage entstehen. Darüber hinaus werden sich die Sorten neben ihrer nachhaltigeren Produktion auch qualitativ positionieren.
Bei all dieser Offenheit gegenüber Piwi-Rebsorten ist es mir gleichzeitig wichtig, die „Klassischen“ Rebsorten nicht außen vor zu lassen. Sie stehen nach wie vor im Zentrum unserer Strategie und bilden die Basis unserer wichtigsten Weine und können auch nachhaltiger angebaut werden.

Annett Conrad: Der Klimawandel macht auch vor dem Weinbau nicht Halt. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie diesbezüglich für den biodynamischen Weinbau in Südtirol in den kommenden Jahren? Werden sich mehr Winzer für einen naturnahen Weinbau entscheiden müssen?
Jo Pfisterer: Das ist, denke ich, sehr individuell und hängt stark von den regionalen Gegebenheiten ab. Ich sehe aktuell kein übergeordnetes Interesse in Südtirol, mehr Flächen biologisch-organisch oder gar biologisch-dynamisch bewirtschaftet zu wissen. Die Landnutzung ist sehr intensiv auf äußerst begrenztem Raum. Land, egal welcher Widmung, ist teuer und stößt in Regionen mit Millionen Euro pro Hektar für Weinbaufläche vor. Schläge sind häufig klein. Das Interesse der veredelnden Betriebe an Bio und Biodyn ist verhalten. Die Traubenauszahlungspreise für integriert angebaute Trauben sind auf einem sehr hohen Niveau.
Es sind neben unserem Weingut Lageder die kleineren Selbstvermarkter (Die sogenannten Freien Weinbauern), die vermehrt auf biologisch-organischen oder auch biologisch-dynamischen Anbau setzen. Ich bin kein Fan davon, anderen meine Meinung als richtig oder andere Meinungen als falsch zu verkaufen.
Generell denke ich, dass der Weinbau aus seiner gesonderten Wahrnehmung kritischer auf sich selbst schauen muss, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies für den ein oder anderen eine Umstellung der Bewirtschaftung bedeuten kann. Dem zugrunde sollte jedoch eine starke intrinsische Überzeugung liegen, einen „gesunden“ und möglichst nachhaltigen Weinbau zu betreiben. Welches Zertifikat dem dann zugrunde liegt, sollte dann vielleicht auch ab und zu zweitrangig sein.
Die Chance des biologisch-dynamischen Weinbaus sehe ich ganz klassisch in der qualitativen Steigerung der Böden, was mikrobielle Vielfalt und Speicherkapazität anbelangt, die diese widerstandsfähiger macht. Aber auch in der Stärkung eines komplexeren Ökosystems in den Weingärten, in dem höhere Biodiversität herrscht, die letztlich den Reben zugutekommt, und in einem möglichst ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaftsprinzip, beziehungsweise dem Streben danach. Das alles sind wichtige Aspekte, die im Zentrum der Biodynamie stehen und die auch im Klimawandel und der Anpassung daran eine wichtige Rolle einnehmen sollten.
Annett Conrad: Welchen Rat würden Sie Winzern geben, die auf biodynamischen Weinbau umstellen möchten? Welche ersten Schritte halten Sie für besonders wichtig?
Jo Pfisterer: Man darf sich hier nicht abschrecken lassen. Der Methode zugrunde liegen teils sehr komplexe Theorien, die zu verstehen sehr herausfordernd sein kann und die vielleicht auch nicht immer komplett Anwendung finden müssen. Hier habe ich zum Beispiel noch viele Defizite. Aber gleichzeitig gehört zum Bauern nicht nur das Element der physischen, schweren Arbeit, sondern auch die geistige Arbeit. Das Auseinandersetzen mit Texten, sei es der landwirtschaftliche Kurs von Rudolf Steiner oder Folgewerke von Eugen und Lili Kolisko (Die Landwirtschaft der Zukunft) bis hin zu Nicolas Joly („Der Wein, die Rebe und die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise“), stimuliert auch die Arbeit des Bauern oder des Winzers und kann sie qualitativ verbessern.
Ich halte es für wichtig, ins Machen zu kommen und dann in einem individuellen Rhythmus von der Oberfläche in die Tiefe zu dringen und sich Zeit zu geben. Ich denke, das Beobachten stellt eine zentrale Rolle dar. Ich würde mich zu Beginn auf einen methodischen Ansatz konzentrieren. Dazu gehört zum Beispiel, Präparate zu dynamisieren und auszubringen. Mitzuwirken bei der Herstellung und sich mit Menschen auszutauschen, die einen an ihren Erfahrungen mit der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung teilhaben lassen.
Außerdem sollte man keine Abstriche bei der guten fachlichen Praxis machen, zu Gunsten von Dogmen, die zum Beispiel schnell bei der Arbeit mit astronomischen Kalendern entstehen können. Vielmehr gehört für mich im biologisch-dynamischen Ansatz ein Hinterfragen und eine Neugierde dazu. Warum beschäftigt mich der Gedanke der Umstellung? Das kann etwas sein, wo ich mir eine Verbesserung erhoffe, einen qualitativen Sprung. Dann schaue ich zuerst bei diesem Aspekt, beispielsweise meinem Bodenleben oder dem Pflanzenwachstum, die biologisch-dynamische Methode anzuwenden und beobachte: Wie war es vorher, wie verändert es sich? Verändert sich überhaupt etwas? Nehme ich es nur nicht wahr? Wie beobachte ich? Auf welcher Ebene? Nach einiger Zeit wird man dann Zusammenhänge herstellen, zum Beispiel vom Bodenleben zum Pflanzenwachstum. Man wird noch mehr Aspekte mit einbeziehen und dadurch wächst man qualitativ und verbindet sich enger mit dem Land, das man kultiviert. Gleichzeitig entwickelt man einen individuellen Ansatz und Umgang mit dem biologisch-dynamischen.

Annett Conrad: In diesem Jahr findet die Biodynamic Wine Fair zum zweiten Mal statt. Sehen Sie diese Wiederholung als positiven Schritt in Richtung eines global nachhaltigeren Weinbaus? Gibt es ein Botschaft, die von dieser Messe an Winzer wie Konsumenten gehen soll?
Jo Pfisterer: Als mich Hannes Hoffmann kontaktiert hat und mir von der Biodynamic Wine Fair berichtet hat, habe ich mich besonders gefreut, dass es eben gerade nicht eine verbandsexklusive Veranstaltung ist, sondern eine offene Geste in Richtung aller Verbände, die sich mit biologisch-dynamisch beschäftigen. Es braucht mehr Austausch und weniger das Definieren über Abgrenzung von anderen. Die Botschaft könnte vielmehr ein Aufeinanderzugehen sein, um gemeinsam den Weinbau in ein nachhaltigeres Umfeld zu rücken.
Dafür sehe ich diese Veranstaltung als absolut positiven und richtigen Schritt an. Ich denke, dass sehr individuelle Produkte, letztlich egal ob Wein oder andere Genussmittel oder gerade auch Lebensmittel, sehr wichtig sind für einen globalen und nachhaltigen Weinbau beziehungsweise Landbau, und dass diese Plattform eine gute Möglichkeit ist, tolle Weine wie Menschen kennenzulernen.
Vielen Dank an Jo Pfisterer für die tiefen und detaillierten Einblicke in die Arbeit des Weinguts Alois Lageder.

Weitere Informationen:
Weingut Alois Lageder
Grafengasse 9
39040 Margreid an der Weinstraße
Südtirol / Italien






















































