Meine Reise führte mich von Memphis tief hinein ins Mississippi-Delta – dorthin, wo der Blues geboren wurde. Doch neben der großen Geschichte der Musik begegnete ich einer ganz persönlichen: der Familie von B.B. King. Ihm so nah zu kommen, war eine besondere Ehre – und ein Moment, der mich nachhaltig berührte.


B.B. King – die Blueslegende bleibt im Herzen
Umso größer war meine Freude, drei seiner Enkelinnen zu treffen: Krystal, Miche und Tammy. Wenig später durfte ich auch mit seiner Tochter Karen sprechen. Die Gespräche mit den Damen waren offen, bewegend und voller persönlicher Erinnerungen an einen Mann, der weltweit als „King of the Blues“ gefeiert wurde – und in ihrer Mitte einfach nur Riley B. King war: Vater, Großvater, Familienmensch.
Wenn Miche King den Ärmel hochschiebt, ist der Satz auf ihrer Haut unübersehbar: „The Thrill Is Gone“. Der Titel eines der bekanntesten Songs ihres Großvaters – des legendären Bluesmusikers B.B. King – ist nicht nur Tattoo, sondern Teil ihrer Identität. Gemeinsam mit ihrer Schwester Tammy Stewart-King und Cousine Krystal Young-King speist sie mit mir im Central BBQ in Memphis zu Mittag, keine fünf Gehminuten vom National Civil Rights Museum rund um das ehemalige Lorraine Motel entfernt, wo Martin Luther King einst erschossen wurde – ein anderer King, ein anderes Kapitel Geschichte.
Doch an diesem Tag sprechen die Frauen über ihren eigenen Großvater, der am 16. September 2025 hundert Jahre alt werden würde.

„Mein Name ist Miche King und ich lebe in South Haven, Mississippi“, stellt sich Miche höflich vor. „Ich bin die fünftälteste Enkelin“, sagt Tammy, „und wohne in Cordova bei Memphis“. Krystal ist trotz laufender Krebstherapie zum Gespräch gekommen. „Ich wollte das Gespräch nicht verpassen“, sagt sie. Sie war Lehrerin, jetzt ist sie wegen der Behandlung zu Hause. Ihre Mutter Barbara ist B.B. Kings älteste Tochter.
Die Familie ist stolz auf das Erbe ihres Großvaters. „Es ist ein Privileg, zu dieser Geschichte zu gehören“, sagt Tammy. „Ich habe Menschen getroffen und Orte gesehen, von denen andere nur träumen.“ Miche ergänzt lächelnd: „Und das alles wegen eines kleinen schwarzen Jungen, der als Baumwollpflücker begann und es bis ganz nach oben geschafft hat.“

Trotz seiner Berühmtheit blieb B.B. King bodenständig
„Er hat Sardinen aus der Dose gegessen, dazu Vanillekekse mit Bananen“, erzählt Miche. Und er war großzügig. „Er hätte dir sein letztes Hemd gegeben.“ Einmal überraschte er Miche und ihren Bruder bei deren Uni-Abschluss in Arkansas – unangekündigt, allein mit dem Auto angereist. B.B. King war für die drei Enkeltöchter nicht nur ein Weltstar, sondern ein liebevoller Großvater – mit klaren Ansichten. „Er wollte, dass die Männer immer so gekleidet sind, als würden sie ein Darlehen bei der Bank beantragen“, erinnert sich Tammy lachend. „Und wer mit hängenden Hosen kam, wurde kurzerhand aus dem Zimmer gewiesen.“ Die Enkelkinder waren seine Lieblinge – bis sie selbst Kinder bekamen. „Dann existierten wir plötzlich nicht mehr – es waren dann die Urenkel, die ihn verzauberten.“

B.B. King, geboren 1925 auf einer Baumwollplantage nahe der Kleinstadt Itta Bena im Mississippi Delta, war ein Mann, der wusste, woher er kam. Nach der Trennung seiner Eltern wuchs er bei seiner Großmutter auf, sang im Kirchenchor und brachte sich das Gitarrespielen selbst bei. Sein Durchbruch kam in Memphis, wo er als Radiomoderator und DJ arbeitete und in den Clubs der Beale Street auftrat – jener Straße, die als Epizentrum des Blues gilt. 1951 landete er mit „3 O’Clock Blues“ den ersten Hit und begründete seinen Ruf als einer der bedeutendsten Rhythm-and-Blues-Interpreten der Nachkriegszeit. Über 40 Alben, 15.000 Konzerte und 15 Grammy Awards folgten. Seine Karriere dauerte über 65 Jahre – sein Einfluss reicht bis heute. B.B. steht für Blues Boy, Riley Kings Pseudonym als Moderator beim Radiosender WDIA.
Sein musikalisches Vermächtnis ist unbestritten. Das familiäre hingegen komplizierter. „Nach seinem Tod gab es Streit um das Erbe“, erzählen seine drei Enkelinnen. „Der Treuhandfonds, den er für Bildung und medizinische Notfälle eingerichtet hatte, wurde von mehreren Managementteams ausgenutzt. Heute ist kaum noch etwas davon übrig. Aber wir kämpfen weiter.“


You are my sunshine
Besonderer Stolz der Familie ist das B.B. King Museum in Indianola – errichtet in der Nähe jenes Stückchen Landes, auf dem der Musiker einst in einem „Cotton Gin“ Baumwolle von den Samen reinigen half. „Er wollte, dass Menschen in seiner Heimat finden – aber nicht so hart arbeiten müssen wie er“, erinnert sich Mitche. Zum 100. Geburtstag plant die Familie eine Feier im nahe dem Museum gelegenen Club Ebony – mit Musik, Erinnerungen und vielleicht sogar einem Auftritt des Trompeters James „Boogaloo“ Bolden, langjähriger Begleiter von B.B. King. Und natürlich mit Familienmitgliedern, „Vielleicht auch Cousine Valerie, die singen wird“, so die Damen. B.B. King soll mit auf der Bühne stehen – als Hologramm.
Und dann war da natürlich noch dieses Lied, mit dem B.B. King seine Konzerte in den letzten Jahren oft beendete: „You are my Sunshine“ Warum? „Das kam nach 9/11“, sagt Miche. „Er hat da sogar den Gitarrengurt auf die US-Flagge getauscht. Für ihn war klar: „Man weiß nie, was morgen ist – also sag es den Menschen, wenn sie dich glücklich machen.“


„Eine meiner liebsten Erinnerungen ist sein Geburtstagsfest im Club Ebony. Nach der Museumseröffnung haben wir ihm eine Torte gebracht, Geschenke, die Enkelkinder standen auf der Bühne, sangen und tanzten und machten ihn glücklich.“ Karen Williams-King
Im fruchtbaren Baumwollland des Mississippi Delta ist B.B.’s musikalisches Erbe im B.B. King-Museum & Delta Interpretive Center sowie im dazugehörigen, legendären Club Ebony bis heute höchst lebendig. In der renovierten kleinen Konzerthalle aus den 1940ern, deren Eigentümer B.B. King selbst eine Weile war, treffe ich Karen Williams-King, eine seiner Töchter. Ich erachte es als eine besondere Ehre, auch mit ihr an diesen historischen Orten sprechen zu dürfen – über das Leben mit einem der größten Musiker des 20. Jahrhunderts, über Vatersein, Tourneen und Erinnerungen. Sie ist eigens aus Las Vegas angereist – gemeinsam mit ihrer Tochter Landra.

Riley war der Vater. B.B. war der Job
„Ich bin die elfte Tochter von Riley B. King – so hieß er abseits der Bühne“, sagt Karen. „Mein Vater hat mich 2010 gebeten, nach Las Vegas zu ziehen. Dort hat er selbst über 40 Jahre gelebt.“ Wenn Karen von ihrem Vater spricht, unterscheidet sie deutlich zwischen dem Menschen und der Ikone. „B.B. war sein Beruf – Riley war der Vater, der Großvater, der Onkel, der Boss“, erzählt sie. „Er konnte nicht jeden Tag bei uns sein, aber wenn er Zeit hatte, dann wollte er unbedingt mit der Familie zusammen sein. Er hat uns alle zusammengebracht, damit wir uns kennenlernen. Ich kannte alle meine 14 Geschwister sehr gut.“ Es gab gemeinsame Spieleabende, Musik, viele Gespräche. „Er war keiner, der große Reden hielt. Aber wenn er sprach, hörten wir alle zu.“

Karen begleitete ihren Vater auf zahlreiche Tourneen rund um die Welt – nach Europa, Asien, Australien, Afrika. Nicht als Assistentin, sondern als Tochter. „Ich hatte keine Aufgaben im Team – mein Job war einfach nur, Zeit mit ihm zu verbringen.“ Sie erinnert sich an Hotelzimmer voller Lachen und Geschichten, an das Zeigen von Enkelkinderfotos nach der Show. „Einmal in Deutschland zeigte er mir einen riesigen Kronleuchter in einem Spielcasino. Und dann sagte er: Siehst du den? Den habe ich bezahlt.“ Sie lacht. „Später hat er uns immer gewarnt: Geht nicht ins Casino. Und wenn, dann gebt nie mehr als hundert Dollar aus.“

B.B. Kings Tochter erinnert sich an einen sehr persönlichen Moment: „An meinem 16. Geburtstag war mein Vater auf dem Jerry Lewis Theleton. Und dort hat er live im Fernsehen für mich gesungen: Sweet 16. Meine Mutter hat mich mitten in der Nacht geweckt. Das vergesse ich nie.“ Als ich sie nach seinem Vermächtnis frage, antwortet Karen ohne zu zögern: „Elf noch lebende Kinder, 45 Enkelkinder, fast 90 Urenkel. Seine Musik. Seine Liebe zu den Menschen. Und seine Gitarren – das waren seine besten Freundinnen.“
Karen weint am Ende unseres Gesprächs: „Aber nicht, weil ich traurig bin – es sind Freudentränen, Tränen des Stolzes auf meinen wunderbaren Vater.“

Lucille – die Frau, die zur Gitarre wurde
B.B. Kings Gitarren waren für ihn mehr als nur Instrumente – sie waren ein Teil von ihm. Und sie trugen immer denselben Namen: Lucille. Die Geschichte dahinter beginnt im Winter 1949, in einer Bar im kleinen Ort Twist, Arkansas. Dort spielte der junge King, als eine mit Kerosin befeuerte Tonne – damals eine gängige Heizmethode – umkippte und das Gebäude in Flammen aufging. King rettete sich zunächst ins Freie – doch als ihm einfiel, dass seine Gitarre noch drinnen war, rannte er zurück in das brennende Gebäude. Er überlebte – und rettete sein Instrument. Am nächsten Tag erfuhr er, dass der Brand durch einen Streit zwischen zwei Männern um eine Frau namens Lucille ausgelöst worden war. Fortan nannte er jede seiner Gitarren so – als Erinnerung daran, niemals wieder sein Leben für eine Frau zu riskieren.
Kings berühmteste Lucille war übrigens keine klassische Gibson ES-335, wie oft angenommen, sondern ursprünglich eine Gibson L-30 Archtop, die er für 300 Dollar gekauft hatte. Später war es vor allem eine modifizierte Gibson ES-355 – ohne F-Löcher, mit Gold-Hardware und seinem Namenszug auf dem Griffbrett –, die ihn auf der Bühne begleitete.


Abschied eines Giganten
Am 14. Mai 2015 starb B.B. King im Alter von 90 Jahren in seinem Haus in Las Vegas – nach einem langen Kampf gegen Diabetes. Zurück bleibt nicht nur eine musikalische Legende, sondern eine große Familie, die sein Erbe am Leben erhält. Mit Erinnerungen, mit Stolz – und mit Geschichten, die zeigen: Der Blues lebt weiter. Und mit ihm – Lucille.
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