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Die Sammlung Prinzhorn umfasst weltweit die wohl ungewöhnlichsten Kunstwerke – Kunst von Außenseitern der Gesellschaft. Alle Werke der Sammlung gestalteten psychiatrische Patienten. Heimat dieser Objekte ist seit 2001 das ehemalige Hörsaalgebäude der Neurologie auf dem Gelände des Heidelberger Altklinikums. Seit knapp 20 Jahren arrangiert man in dem umgebauten Hörsaal wechselnde, thematische Ausstellungen der sensiblen Objekte. Nun ist auch eine Dauerausstellung seit 1. Juli 2020 für ein breites Publikum ganzjährig zugänglich.

Auf dem Campus des Heidelberger Altklinikums ist die Sammlung Prinzhorn Teil des Zentrums für Psychosoziale Medizin / © Redaktion FrontRowSociety.net

Unter der Bezeichnung „Die Sammlung Prinzhorn – von ‚Irrenkunst‘ zur Outsider Art“ werden einmalige Objekte gezeigt, die von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen geschaffen wurden. Die zirka 120 ausgestellten Arbeiten entstanden von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. Damit nimmt das Museum unter anderem eine Entstigmatisierung der Betroffenen vor und lässt Einblicke in das durch die Kunst nach außen gewandte Seelenleben sogenannter ‚Geisteskranker‘ zu.

Josef Forsters Selbstporträt als Luftgänger dient als Logo der Dauerausstellung „Die Sammlung Prinzhorn – von ‚Irrenkunst‘ zur Outsider Art“ / © Redaktion FrontRowSociety.net

Grundlagen der Sammlung

Die Geschichte der Psychiatrie als medizinisches Fachgebiet ist vergleichsweise jung. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts verwahrte man ‚Irre‘ – insbesondere in der ehemaligen DDR – noch immer ohne adäquate Therapie oder Beschäftigung. Ein besonders dunkles Kapitel im Umgang mit diesen besonderen Menschen wurde während der NS-Zeit aufgeschlagen. Zirka 300.000 psychisch Kranke fielen dem Rassenhygiene-Programm zum Opfer. Heute ist die öffentliche Wahrnehmung eine andere und einen Teil dieser Entwicklung verkörpert die Sammlung Prinzhorn.

Links ist das Bild ‚Altar‘ von Paul Goesch zu sehen, das um 1920 entstand. Drei seiner Blätter beschlagnahmten die Nationalsozialisten für ihre Wanderausstellung ‚Entartete Kunst‘. Im Zuchthaus Brandenburg wurde Paul Goesch 1940 von nationalsozialistischen Ärzten ermordet / © Redaktion FrontRowSociety.net

Inzwischen umfasst die Sammlung Prinzhorn zirka 30.000 Exponate aus der Zeit ab 1945. Die historische Sammlung verfügt über 6.000 Objekte, die zwischen 1825 und 1933 entstanden. Grundlage bildete eine Lehrmittelsammlung, welche der damalige Leiter der Heidelberger Klinik, Emil Kraepelin, um 1900 anlegte. Sein Nachfolger, Karl Wilmanns, dehnte die Sammlung mit künstlerischen Arbeiten von Patienten aus anderen Anstalten aus und übertrug dem Mediziner und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn 1919 ihre Erweiterung. Mit dem Ziel einer Publikation sowie der Einrichtung eines ‚Museums für pathologische Kunst‘ wuchs die Sammlung dank des Engagements Prinzhorns auf rund 4.600 Werke von zirka 400 Patienten.

Die temporäre Ausstellung beschäftigt sich mit Werken der historischen Sammlung, die Hans Prinzhorn von 1919 bis 1921 zusammentrug / © Redaktion FrontRowSociety.net

Hans Prinzhorn katalogisierte die Arbeiten von meist schizophrenen Insassen, die nicht im Rahmen einer Therapie entstanden, sondern als spontaner Ausdruck des Inneren selbst gesehen werden. Zudem sorgte er für eine sichere Verwahrung der Objekte, da diese sonst mit der Zeit durch Umwelteinflüsse zerstört werden würden. Die Anstaltsinsassen nutzen meist Materialien, die ihnen gerade in die Hände fielen, wie beispielsweise Toilettenpapier, Bleistiftstummel oder Papierschnipsel.

Else Blankenhorn (1873-1920) zählt zu den wichtigsten Künstlern des Fundus. Als Patientin einer Privatklinik hatte sie Zugang zu Materialien, die kreatives Arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen ermöglichte. Dazu zählt auch ihr Ölbild ‚Allegorie mit kaiserlichem Paar‘ / © Redaktion FrontRowSociety.net

Den daraus gefertigten Schriften, Zeichnungen oder Collagen der einfachen Insassen stehen künstlerische Ausdrücke von Erste-Klasse-Patienten gegenüber. Diese Patientengruppe entstammte wohlhabenden Familien, so dass Aquarelle oder Ölgemälde Teil der Sammlung sind. Resultat Prinzhorns Forschung ist die umfassende Studie „Bildnerei der Geisteskranken“, die 1922 veröffentlicht wurde. Sein einflussreiches Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt und regte Kunstschaffende an, sich mit der ‚Irrenkunst‘ auseinanderzusetzen.

Hans Prinzhorn vermied in seiner Publikation ‚Bildnerei der Geisteskranken‘ das Wort Kunst, sondern benannte diese Arbeiten lediglich als Bildnerei / © Redaktion FrontRowSociety.net

Museum und Ausstellung

Das Kuratorium sieht seine zentrale Rolle in der Aufarbeitung und Bewahrung der höchst empfindlichen Objekte der Sammlung Prinzhorn. Die aus minderwertigen Materialien gefertigten Schriften oder Zeichnungen der historischen Sammlung werden so für zukünftige Forschungsarbeiten konserviert. Darüber hinaus versucht man, die von Prinzhorn unter einem Synonym hinterlegten Werke Patienten zuzuordnen. Hierzu werden Krankenakten und Anstaltsaufzeichnungen ausgewertet und miteinander in Verbindung gebracht.
 
Diese aufwendige Stickerei ‚Gott der Braut‘ konnte Johanna Wintsch (1871-1944) zugeordnet werden / © Redaktion FrontRowSociety.net
Mit den neuen Räumlichkeiten gewann das Museum an Fläche. Im Foyer können sich Besucher nun über die Geschichte der Sammlung, das Leitbild des Museums sowie Hans Prinzhorn und seine „Bildnerei der Geisteskranken“ an neu installierten Texttafeln informieren. zehn Anstaltsinsassen markierte er in dieser Publikation als seine „schizophrenen Meister“. Eine besondere Auswahl ihrer Arbeiten werden in zehn Schubladen eines Vitrinenschranks den Besuchern präsentiert.
 
Jeden schizophrenen Meister Prinzhorns steckte man in eine Schublade, jedoch nur für die Präsentation. Hier im Gespräch FrontRowSociety Mitherausgeberin Annett Conrad (li.) und Friederike Rauch (re.), zuständig für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Sammlung Prinzhorn / © Redaktion FrontRowSociety.net
In den neuen Räumen der Dauerausstellung stehen Zeichnungen wie das Selbstporträt Wilhelm Müllers oder das konvolute Vermächtnis Harald Benders im Kontext mit Zitaten psychisch Erkrankter, die als Wandtexte immer wieder den Betrachter bzw. Leser zum Nachdenken anregen. In Wort und Bild verleiht man hier den künstlerisch tätig gewordenen Patienten stellvertretend für alle die Würde des Menschseins. Es ist ein Podium, Visionen, Gedanken oder Erlebniswelten fern unserer ’normalen‘ Wahrnehmung darzustellen ohne den Schöpfer als ‚entartet‘ zu sehen.
 
Hilferuf: „Männer der Wissenschaft, Löst Eure Aufgabe!“ / © Redaktion FrontRowSociety.net
Das Untergeschoss ist mit Exponaten von Karl Grenzel bestückt worden. Seine geschnitzten Skulpturen lösen immer wieder kontroverse Diskussionen zwischen Verwirrung und Begeisterung aus / © Redaktion FrontRowSociety.net

„Ein mehrfacher Millionenwerth“

Unter diesem Titel stand die Sonderausstellung, die von Ende Mai bis Ende Oktober 2020, quasi zwischen den Covid-19 geschuldeten Schließungen zu sehen war. Im Fokus standen die fragilen Schätze der historischen Sammlung Prinzhorn. Zu ihnen gehören unter anderem die religiösen Wunderbilder von Carl Lange, die er mit einem ‚mehrfachen Millionenwerth‘ bezifferte. Jene, in seinen Schuheinlegesohlen wahrgenommene Offenbarung, brachte er mit Bleistift zu Papier.
 
Aus kunsthistorischer und medizinischer Sicht besitzt die einzigartige Sammlung einen unschätzbaren Wert / © Redaktion FrontRowSociety.net
Zu den ausdrucksstarken Arbeiten des Bestandes darf das genähte und mit autobiografischen Texten bestickte Jäckchen von Agnes Richter gezählt werden. Es entstand 1895, als Insassen durch das Anlegen von Anstaltskleidung ihre Identität verloren. Ihre Sehnsucht nach Individualität drückte Agnes Richter mit diesem Kleidungsstück aus.
 
Obwohl Prinzhorn sorgsam mit den Objekten umging, erfolgte jedoch erst in den 1980er Jahren ihre professionelle Konservierung nach modernen Maßstäben. Manche Arbeiten werden wohl nur noch zu Forschungszwecken genutzt werden können, da ihr Zustand eine Verleihung bzw. Ausstellung unmöglich macht.
 
Agnes Richter verankerte mit diesem Jäckchen ihre Individualität, bevor ihr ‚Ich‘ gänzlich zu verschwinden drohte / © Redaktion FrontRowSociety.net
Das Konzept der Sammlung ist weltweit einzigartig und genießt in künstlerischen sowie in medizinischen Fachkreises internationales Renommee. Als Betrachter dieser Werke fühlt man sich fast als Voyeur, der in die Privatsphäre anderer Menschen dringt. In Büchern, Zeichnungen oder Schriften liegen Wünsche und Sehnsüchte offen vor uns, die den damaligen Alltag einer Anstalt schonungslos erzählen. Traumatische Ereignisse wie sexuelle Gewalt, Zwangssterilisation oder Verstümmelungen thematisierten die Anstaltsinsassen in ihren Schöpfungen: Bildsprache die sprachlos macht.
 
In diesem Zyklus verarbeitet Wilhelm Werner die Zwangssterilisation im Rahmen der Euthanasie-Aktion T4 der Nationalsozialisten. Nach der Zwangsräumung der Einrichtung Werneck 1940 wurde er mit anderen Patienten direkt zur Gaskammer in Pirna überführt / © Redaktion FrontRowSociety.net
Die Faszination dieser Ausstellung beruht auf der Abstraktionsfähigkeit psychisch kranker Menschen, auch wenn lediglich zwei Prozent von ihnen gestalterisch aktiv werden. Der Ausdruck des eigenen Ichs, des eigenen Erlebens und sei es noch so unerklärlich, berührt zutiefst. Jedes einzelne Werk erzählt nicht nur eine persönliche Geschichte, sondern gibt tiefe Einblicke in gesellschaftliche Normen, in religiöse bzw. kulturelle Konventionen und zeigt die jeweilige Gesellschaft im Umgang mit dem Anderssein.
 
Wer durch die Sammlung Prinzhorn wandelt, gerät vom Staunen ins Entsetzen oder schwankt zwischen Faszination und Befremden / © Redaktion FrontRowSociety.net
„Kunst ist frei. Sie schafft Räume zur Veränderung der Welt.“ In diesem Sinne bündelt die ‚Baden-Württemberger Erklärung der Vielen‘ ihre Synergien, um für ein ganzheitliches Kunstverständnis zu werben. Kunst und deren Schöpfer sollen frei von Diffamierung sein. Der Weg von der Irrenkunst zur Outsider Art ist begleitet von Momentaufnahmen der Normen, in denen sich eine Gesellschaft gerade bewegt. Und jede Generation muss den Weg selbst auf ein Neues beschreiten.
 
Bildnerei oder Kunst – nach unserem heutigen Verständnis ist Kunst frei / © Redaktion FrontRowSociety.net

Hoteltipp Heidelberg

Wer aus der Ferne anreist und sich neben der Sammlung Prinzhorn weiterer Kunst und Kultur in Heidelberg widmen möchte, dem sei das 5 Sterne Superior Hotel Europäischer Hof angeraten. Heidelbergs erstes Haus ist die exklusivste Adresse, um die facettenreiche Universitätsstadt zu entdecken.

Redaktionstipp: Der Europäische Hof in Heidelberg – stilvolle Eleganz auf 5 Sterne Superior Niveau / © Redaktion FrontRowSociety.net

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