Nach 56 Jahren auf der norwegischen Hurtigrute war seine aktive Einsatzzeit 2012 vorbei. Vorerst. Denn unter der Regie von Vestland Classic Cruises erlebt das ehemalige Postschiff „Nordstjernen” nun eine neue Blüte.
Ich betrete den kleinen Schiffsveteran im dänischen Århus. Meine Innenkabine ist klein, aber das weiß man bei diesem Schiff vorher. Wer im Jahr 1956 in Norwegen von Hafen zu Hafen fuhr, brauchte nicht viel Platz. Das Bad mit Dusche ist sogar Luxus, denn darüber verfügten in den 1950er Jahren längst nicht alle Kabinen auf den Hurtigrutenschiffen. Dafür steht die Trittleiter zum Oberbett fast immer im Weg und dient mitten im Raum als Stolperfalle. Außerdem setzt mit dem Auslaufen ein monotones Vibrieren und Poltern ein, das auf jedem modernen Schiff Anlass für dutzendweise Beschwerden wäre. Auf dem ehemaligen Postschiff jedoch ist es völlig normal und bildet sogar eine wohlige Geräuschkulisse zum Einschlafen.
In den vergangenen Tagen hat die kleine „Nordstjernen”, von Bergen kommend, bereits Flåm, Fjaerland, Balestrand, Stavanger und Farsund besucht. „Nordischer Frühling“ hat die Reederei diese Reise getauft, und insbesondere Fjaerland, Balestrand und Farsund sucht man auf den Routenplänen der großen Kreuzfahrtschiffe vergeblich. Als die Passagiere am nächsten Morgen frühstücken, befindet sich das Schiff jedoch am Eingang des Kleinen Belts. Das kurvige Fahrwasser trennt Jütland von Dänemarks zweigrößter Insel Fünen und ist, wie schon besagte Häfen in Norwegen, zu eng und zu flach für die großen Kreuzfahrtschiffe. Die „Nordstjernen“ passiert den alten Leuchtturm von Strib aber problemlos und fährt dann unter den beiden Belt-Brücken hindurch – ein Schauspiel, das sich kaum jemand an Bord entgehen lässt.
Draußen ist derweil alles grau in grau, als sich das Ex-Postschiff gegen Mittag der Stadt Fåborg nähert. Fåborg wurde bereits 1229 erstmals urkundlich erwähnt und besitzt heute eine der am besten erhaltenen historischen Altstädte Dänemarks. Mit dem Vesterport-Stadttor ist sogar noch ein Teil der alten mittelalterlichen Architektur gegenwärtig, Wahrzeichen der Stadt ist jedoch der um 1500 erbaute freistehende Glockenturm der Nikolaikirche. Auch die bunten Fachwerkhäuser gefallen, Fåborg am Abend ist dänische Kleinstadt-Idylle in Reinform.
Auch an Bord der „Nordstjernen” kann jeder Gegenstand, kann jeder Winkel seine eigene kleine Geschichte erzählen, egal ob dies eine Glastür mit kostbaren Intarsien, ein Wandgemälde des Schiffes selber oder eine der Hafenplaketten über der Treppe zum Bootsdeck ist. Nicht nur nach Meinung seiner Anhänger ist das kleine Ex-Postschiff heute übrigens schöner, als es jemals zuvor gewesen ist. Das liegt auch daran, dass die chronisch klammen Betreiber der Hurtigrute nie wirklich die Mittel zur Verfügung hatten, ihre Schiffe mehr als nötig zu modernisieren.
2012 kaufte die norwegische Reederei Vestland den Hurtigruten die „Nordstjernen” ab, um sie nach einer gründlichen Renovierung in Eigenregie für Kreuzfahrten einzusetzen. Im selben Jahr stellten die norwegischen Behörden das Schiff außerdem unter Denkmalschutz, was seitdem bei so mancher Modernisierung für Kopfzerbrechen sorgt, den unverkennbaren altmodischen Charakter des Schiffes aber erhält. Die „Nordstjernen” ist daher auch nach 64 Jahren noch immer ein Schiff voller maritimem Charme – verwinkelte Korridore und niedrige Decks, aber auch reichlich Holz, Messing und altes nautisches Mobiliar inbegriffen.
Am nächsten Morgen blicken wir noch während des Frühstücks auf die dunklen Wände der Schleusenkammer des Nordostseekanals. Und kaum unser Schiff Kiel-Holtenau verlassen, wird es still. An Backbord wie an Steuerbord plötzlich nur noch Vogelgezwitscher, ansonsten himmlische Ruhe. Blühende Rapsfelder sorgen für Farbtupfer entlang der Strecke, und nur ab und zu kommt uns ein anderes Schiff entgegen. Dafür sind die Entenfamilien und Schwäne am Ufer fast zum Greifen nahe. Es ist die perfekte Idylle, mitten auf diesem kleinen blauen Band, das seit 1895 Schleswig-Holstein zerschneidet.
Die Transitzeit für die Tagespassage des Nordostseekanals beträgt 6,5 bis 7 Stunden, und die können wir durchweg genießen. Sogar die Sonne gibt sich ein Stelldichein – ein Segen nach dem fast komplett verregneten gestrigen Tag in Fåborg. Ein Teil der Passagiere postiert sich daher mit Fotoapparat oder Kamera auf dem Vorschiff, ein anderer macht es sich mit einem Buch oder bei Smalltalk an Deck gemütlich. Hier kann man es noch: Abschalten. Die einzige vernehmbare akustische Kulisse bilden die Lüfter- und Motorengeräusche des Schiffes selbst, und die gehören einfach dazu.
Um 16 Uhr trifft die „Nordstjernen” an der Schleuse in Brunsbüttel ein und muss zunächst einmal warten. Doch nicht lange, schon nach einer Viertelstunde geht es weiter, elbaufwärts. Am Abend erweist sich wie schon die Passage des Nordostseekanals auch das Einlaufen in Hamburg als Traum. Die Sonne scheint ohne Unterlass, und während die Riesen unter den Kreuzfahrtschiffen meist schon in den frühen Morgenstunden das wenig attraktiv gelegene neue Terminal in Steinwerder anlaufen, nimmt die kleine „Nordstjernen” in der Abendsonne Kurs auf die Überseebrücke im Herzen des Hafens. Wir passieren Blankenese, bestaunen die großen Containerschiffe in Altenwerder und kommen schließlich auch an dem Ort vorbei, wo vor über 60 Jahren alles begonnen hatte: den Docks von Blohm & Voss, der Bauwerft des Schiffes.
Noch schnell eine Schleife vor der Elbphilharmonie gedreht, dann ist der „Nordische Frühling“ leider vorbei. Naja, fast. Als um kurz vor 22 Uhr alle Formalitäten erledigt sind, läutet die Reiseleiterin den Abschiedsabend ein. Bedankt sich bei allen Teilnehmern für die gelungene Reise, nimmt sogar den scheuen Schiffseigner in die Mitte und rührt noch einmal die Werbetrommel für „ihr“ Schiff. Denn für das nächste Jahr plant die Reederei weitere internationale Reisen. Wer will, kann sogar seine Wunschroute in eine Liste eintragen oder zumindest Häfen, die er/sie immer schon einmal besuchen wollte. Auf welchem anderen Kreuzfahrtschiff gibt es das schon?
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