Tacheles – mit diesem Naturwein bringt Winzer Marc Weinreich ohne Umschweife das Naturprodukt Wein auf den Punkt. Gemeinsam mit seinem Bruder Jan verantwortet er das Familiengut Weinreich, doch Naturwein bzw. Orange Wine zu machen, ist sein Ding.
Manchmal muss es eben anders sein
Aus Trauben entsteht seit über zweitausend Jahren Wein. Einst oblag es einfachen Weinbauern, das Allround-Getränk herzustellen. Heute sind Winzer gleichzeitig Akademiker, die zumeist einen Abschluss an renommierten Universitäten – hierzulande allen voran in Geisenheim – aufweisen können. Bis zur Perfektion getrieben, entsteht aus Trauben ein Produkt, das mit höchstem technischen Aufwand veredelt wird. Auch wenn Wein immer noch ein Naturprodukt ist, wird doch bei dessen Transformation nichts dem Zufall überlassen.
Die Naturwein bzw. Orange Wine Bewegung geht wieder ein Stück zurück. Es wird biologisch oder biodynamisch gearbeitet und auf Reinzuchthefen, Schönung, Filtration sowie Schwefelung verzichtet. Von der Idee dieses Prozesses war Marc Weinreich so überzeugt, dass er nicht umhin konnte, diesen alten Weg neu zu beschreiten. Dem Zufall überlässt er dennoch nichts. Sein Bruder Jan war von dieser Marschrichtung anfangs nicht unbedingt überzeugt. Doch langsames Herantasten und Experimentierfreude bescherte den Brüdern Weinreich schlussendlich Erfolg.
Marc Weinreich lässt seinen Weißwein Tacheles analog zu Rotwein auf der Maische stehen, während man sonst die weißen Trauben presst und ausschließlich deren Saft vergärt. Diese Methode ist ausschlaggebend für einen Orange Wine. Denn aufgrund der Maischezeit lösen sich Tannine aus den Schalen und geben dem Wein seine intensive, fast orange Farbe. Orange Wine ist etwas kantiger als ein klassisch ausgebauter Wein, er ist halt anders. Das ist so gewollt und ist jedes Jahr anders. Ein spannendes Thema, doch man sollte jedes Geschmacksmuster einer weißen Cuvée, die ein gestandener Weinkenner abgespeichert hat, außerachtlassen. Hier ist Offenheit ist gefragt.
Vom jungen Wilden zum gefragten Winzer
Obwohl Marc Weinreich zwischen Reben und Fässern aufwuchs, war er ein Rebell, der seinen Eltern sicherlich manch schlaflose Nacht bescherte. Die Ausbildung beim VDP Weingut Wittmann tat ihm gut, forderte ihn, so dass nach der Ausbildung das Studium in Geisenheim mit dem Abschluss in Weinwirtschaft und Önologie folgte. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters bekam für ihn der Begriff Verantwortung eine neue Dimension. Gerade das Diplom in der Hand haltend, wurde er von Studenten zum Unternehmer. Es galt den elterlichen Betrieb weiterzuführen.
Gemeinsam mit seiner Frau Nina, ebenfalls studierte Önologin, gestaltete er das Weingut um. Manchmal bedarf es radikaler Maßnahmen, um die eigene Vision anzugehen. Inzwischen sind elf Jahre ins Land gegangen. Viel ist passiert. Im Jahr 2012 galt er als „Aufsteiger des Jahres“ der deutschen Weinszene und wenig später konstatierte Gault Millau: „Es verdient höchsten Respekt, was der begabte Marc Weinreich in den letzten Jahren geleistet hat.“
Nicht nur der globale, auch der deutsche Markt ist übersättigt mit mittelmäßigen Weinen. Um sich davon abzusetzen, arbeiten ambitionierte Winzer wie Marc Weinreich das Terroir sorgfältig heraus. Hierbei geht es um die regionstypische Identität des Weins. Und so wie man die Handschrift eines Sternekochs auf dem Teller erkennt, so charakteristisch ist in dieser Liga der Stil des Winzers. Mit seinen Naturweinen arbeitet er ein klares Profil heraus: erstklassige, ungeschönte, aber finessenreiche Weine.
Biologische Arbeit ist eine Lebenseinstellung
Nach der Übernahme des Betriebes stellte Marc Weinreich die Arbeit auf dem Gut auf ökologische Bewirtschaftung um. Dieser Gedanke entstand bereits während des Studiums. Die Böden der 19 Hektar Rebland erholten sich und weisen nunmehr eine lebendige Diversität auf, die für kraftvolle, gesunde und extraktreiche Trauben sorgt. Rund ums Jahr wird kleinteilig gearbeitet und genau beobachtet. Für die Arbeit nach biologischen Richtlinien ist das unerlässlich. So können die Brüder Marc und Jan Weinreich exakt auf die variablen Bedürfnisse einzelner Abschnitte ihrer Weinberge reagieren.
Was im Berg beginnt, setzten die Brüder im Keller fort. Bei den Naturweinen wird spontan vergoren. Wenn Hefen zum Einsatz kommen, entstammen diese von den Trauben selbst. Je nach Vorhandensein diverser Kleinstlebewesen und unterschiedlicher Umwelteinflüsse, besiedeln Pilze und Bakterien die Trauben. Diese sind für die aromatische Komplexität eines Weins ausschlaggebend. Durch die mikrobielle Fermentation entfaltet der Wein bereits seinen Charakter, seine Farbe, sein Aroma. Direkt in diesem ersten Prozess spiegelt sich die stringent biologisch ausgerichtete Arbeit, bei welcher das Mikroklima fast auf einzelne Reben heruntergebrochen werden könnte.
Das Projekt Orange Wine war nicht unbedingt das Lieblingskind von Jan Weinreich. Dennoch schweißte der Naturwein die Brüder zusammen. Den ungezähmten Marc holt Bruder Jan mit bedachten und klugen Vorschlägen auf den Boden der Realität zurück. Laut Marc Weinreich ist es schlussendlich Jan zu verdanken, dass ein Wein geschaffen wurde, der auch Orange Neulinge abholt.
Über Weinreichs Orange Wine Tacheles 2019
Jetzt reden wir Tacheles. Bei der ersten Probe schwebten Vorurteile in unserem Kopf. Unsere erste Begegnung mit einem Vertreter dieser Sparte in einem Tiroler Gourmetrestaurant war recht unglücklich. Diese geballte Kraft an Natürlichkeit muss man sich langsam erschmecken. Für Traditionalisten kein leichter Weg, aber machbar.
Darüber hinaus belüfteten wir den noch jungen Wein mit einem elektrischen Weinbelüfter. Vinaera Pro sieht auf seiner Liste lediglich die Belüftung von Rotweinen vor, doch probieren geht über studieren. Da der Tacheles wie ein Rotwein auf der Maische vergoren und obendrein im Halbstück ausgebaut wurde, wagten wir eine zaghafte Einstellung am Belüfter, die einer 20 minütigen Dekantierzeit entsprechen würde. Der Tacheles zeigt sich tatsächlich zugänglicher mit einem besseren Trinkfluss. Doch dieser Eindruck mag unseren hinterlegten Geschmacksmustern geschuldet sein.
Auf jeden Fall hält der Tacheles 2019, was Marc Weinreich verspricht: direkt, ehrlich, geradeaus.
Beschreibung: Tacheles 2019
Rebsorte: Bacchus, Kerner, Riesling
Farbe: intensives strohgelb
Nase: blumig Anklänge, reife Birne und Quitte
Gaumen: Birne, leicht Bitteraromen, saftige Frische
Flascheninhalt: 750 ml
Alkoholgehalt: 11,5 % vol
Keinesfalls sollten die Weine der Traditionsline unversucht bleiben. Der Lagenwein Weinreich Hasensprung Riesling trocken 2017 zeigt eindrucksvoll das Können der beiden Brüder.
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