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Das aus Reis, Wasser, Hefe und dem Hefepilz Kōjikabi (麹, aspergillus oryzae) bestehende japanische Nationalgetränk Sake wird in seinem Heimatland im Einklang mit den vier Jahreszeiten gebraut und nicht nur jung, sondern auch längere Zeit gereift genossen.

Die in Deutschland schwer erhältlichen saisonalen Produkte haben durch ihre unglaubliche Aromen- und Geschmacksvielfalt schon so manch einem Japanreisenden die Augen für das bei uns im Westen immer noch wenig beachtete Getränk geöffnet. Dieses gilt insbesondere auch für länger gereiften Sake, der vom Profil her an Sherry, Port, Marsala und Madeira erinnert.

Die Sugidama (杉玉) oder auch Sakabayashi (酒林) Kugel

Stellvertretend für den Jahreszyklus sowie die Reifung von Sake steht die über dem Eingang von Brauereien, Restaurants und Bars hängende Sugidama (杉玉) oder auch Sakabayashi (酒林) genannte Kugel aus zusammengebundenen und geschnittenen Zweigen der japanischen Sicheltanne Sugi (杉, cryptomeria japonica).

Neuer Sugidama zu Beginn der Sake-Herstellung über dem Eingang einer Brauerei
Neuer Sugidama zu Beginn der Sake-Herstellung über dem Eingang einer Brauerei / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Die aus frischen, grünen Zweigen in Handarbeit hergestellte Kugel wird von einigen Brauereien traditionell am Anfang der von September bis März dauernden Brausaison aufgehängt, um zu signalisieren, dass der erste Sake des Jahres trinkfertig ist. Die dann langsam eintretende Braunfärbung der Kugel symbolisiert den kontinuierlichen Reifungsprozess des Sake bis zur nächsten Brausaison. Ab Anfang November verläßt der erste frisch gebraute Sake des Jahres die Brauereien und bereichert die Getränkekarten der Bars und Restaurants sowie die Auslagen von Ladengeschäften.

Der als Shiboritate (しぼりたて – abgeleitet vom japanischen Wort für pressen, shiboru 絞る) bezeichnete Sake – wird direkt aus der vergorenen Maische gepresst und entweder durch
Filtration von Reisrückständen befreit oder auch naturtrüb als Nigori-Sake (にごり酒) in
Flaschen abgefüllt. Als unpasteurisierter Namazake (生酒) hat Shiboritate ein frisches,
kräftiges jugendliches Profil mit merklicher Säure und Adstringenz, das oft durch einen
Hauch Kohlensäure aus der gerade abgeschlossenen Gärung bereichert wird.

Traditionelle Sake-Presse in der Brauerei Tanaka in Himeji
Traditionelle Sake-Presse in der Brauerei Tanaka in Himeji / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Wie bei Sake üblich, liegt der Alkoholgehalt bei durchschnittlich 16%. Getrunken wird Shiboritate gekühlt, bei Raumtemperatur oder auch leicht erwärmt. Um die in der Flasche noch fortschreitenden mikrobiologischen Prozesse zu verlangsamen und dem Verlust seines
lebendigen Charakters vorzubeugen, sollte Shiboritate bei etwa 5° C im Kühlschrank
aufbewahrt werden. Ungeöffnete Flaschen müssen innerhalb von drei bis sechs Monaten
verbraucht werden, geöffnete Flaschen innerhalb weniger Tage.

Starterkulturen in der Brauerei Kayashima, Kunisaki
Starterkulturen in der Brauerei Kayashima, Kunisaki / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Sake und die Jahreszeiten

Wenn es Frühling wird und die Temperaturen langsam wieder steigen, werden die auf kältere Umgebungstemperaturen angewiesenen Brauprozesse beendet. Der fertige Sake wird in Tanks und Flaschen eingelagert, wobei die Lagertemperatur durch natürliche oder künstliche Kühlung stets unter der Umgebungstemperatur bleibt. Um die mikrobiologische Stabilität sicherzustellen und ihn länger haltbar zu machen, wird Sake durch Erhitzen pasteurisiert.

Traditionell findet dieser Vorgang einmal vor der Lagerung im Winter und dann noch einmal
vor der Auslieferung statt. Heutzutage wird von vielen Brauern allerdings eine nur einmalige Pasteurisierung für ausreichend erachtet, da diese nicht so sehr in das Aroma- und Geschmacksprofil eingreift.

Der Frühling steht auch in Japan für Frische und Erneuerung und wird durch die vielen gerade erst gebrauten Sake bereichert. In bester Form zu genießen sind insbesondere die
unpasteurisierten Namazake, die über die nächsten Monate langsam ihre ursprüngliche
Frische verlieren werden und daher ideale Begleiter beim Betrachten der ebenfalls
vergänglichen Kirschblüte sind.

Wenn im Juni die Regenzeit über das Land zieht und sich im Juli die heißschwüle
Sommerhitze über das Land legt, kommt der eigens für diesen Zweck gebraute Sommersake (Natsu-Sake, 夏酒) mit farbenfrohen Motiven auf den Etiketten wie Feuerwerk, Sommerblumen, Strand und Meer, auf den Markt. Während das Aroma und der Geschmack des Sommers von jedem Brauer frei interpretiert wird, ist Natsu-Sake im Allgemeinen erfrischend, leicht und trocken, aber auch fruchtig aromatisch. Natsu-Sake wird oft als unpasteurisierter Namazake gebraut, um sein Profil noch lebendiger zu gestalten. Beliebt sind seit einigen Jahren auch Sake mit natürlicher oder zugesetzter Kohlensäure (sog. Sparkling Sake, スパクリンぐ). In der japanischen Sommerhitze wird Natsu-Sake stark gekühlt getrunken und auch gerne mit Soda oder auf Eis serviert, das den Sake dann schmelzend angenehm verdünnt. Soweit nicht als Namazake gebraut, lässt sich die Erinnerung an den vergangenen Sommer bei Temperaturen unter 15° C bis zu einem Jahr gelagert konservieren. Geöffnete Flaschen sollten allerdings innerhalb von einer bis zwei Wochen konsumiert werden.

Hinterland der japanischen Präfektur Gifu, Ibigawa zur Regenzeit
Hinterland der japanischen Präfektur Gifu, Ibigawa zur Regenzeit / © FrontRowSociety.net, Foto: Alexander Rudolph

Nachdem sich die sommerliche Hitze im September langsam gelegt hat, schließen die
traditionell als Hiyaoroshi (冷やおろし) und Akiagari(あきあがり bezeichneten herbstlichen Saisonprodukte den Jahreszyklus des im letzten Winter gebrauten Sake. Die Kugel aus den Zweigen der japanischen Sicheltanne ist mittlerweile tiefbraun gefärbt. Durch die halbjährige Lagerung hat der Sake ein reifes, mildes, rundes und ausgewogenes Aroma
und Geschmacksprofil erhalten.

Akiagari steht dabei für die traditionelle zweifache Pasteurisierung vor Lagerung und vor Versand, während Hiyaoroshi nur einmal vor seiner Lagerung im Winter pasteurisiert wird und dadurch noch etwas von seinem jugendlichen Profil beibehält. Der Begriff Hiyaoroshi bedeutet wörtlich kühler Versand. Damit der Sake seine Qualität auch bei einmaliger Pasteurisierung beibehält, wurde Hiyaoroshi nämlich erst dann ausgeliefert, wenn die Umgebungstemperatur der kühlen Lagertemperatur entsprach.

Durch die heutige Kühllogistik und die Erkenntnis, dass eine einmalige Pasteurisierung
durchaus genügt, ist dieses Problem in den Hintergrund gerückt. Je später Hiyaoroshi auf den Markt kommt, desto reifer ist der Sake. Hiyaoroshi kann in allen Temperaturen getrunken werden, jedoch zeigt sich seine vollendete Reife besonders bei warmen Temperaturen von 40 bis 50° C. Aufgrund der durch die Pasteurisierung erlangten mikrobiologischen Stabilität können Akiagari und Hiyaoroshi bei Temperaturen unter 15° C bis zu einem Jahr gelagert werden. Geöffnete Flaschen sollten allerdings innerhalb von einer bis zwei Wochen konsumiert werden.

Nicht nur regionaler Sake

Neben den saisonalen Produkten gibt es die vielen ganzjährig erhältlichen Sake, die ebenfalls gereift werden, um ihr Aroma- und Geschmacksprofil abzurunden, bevor sie auf den Markt kommen. Je nach Sake kann dies sechs Monate bis ein Jahr oder länger dauern. Seinen ursprünglichen Charakter verändert ein Sake dabei nicht bzw. nur im Sinne einer graduellen Reifung zur Verbesserung des ursprünglichen Aroma- und Geschmacksprofils. Eine wirkliche Entwicklung zu einer komplexeren Form von Sake, die auf japanisch als Koshu (古酒), alter Sake oder Chōki Jukusei-Shu (長期熟成酒), langfristig gereifter Sake bezeichnet wird und die ich hier als „Aged Sake“ bezeichnen werde, findet erst zwischen drei und fünf Jahren statt.

Aged Sake Tasting, Brauerei Shimazaki, Tochigi. Viele der bewußt traditionell und nicht industriell fertigenden Brauereien präsentieren das Ergebnis ihrer Handwerkskunst am Ort der Entstehung
Aged Sake Tasting, Brauerei Shimazaki, Tochigi. Viele der bewußt traditionell und nicht industriell fertigenden Brauereien präsentieren das Ergebnis ihrer Handwerkskunst am Ort der Entstehung / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Insbesondere die Maillard-Reaktion spielt dabei eine wichtige Rolle. Der im Sake enthaltene
Restzucker reagiert mit den Aminosäuren und erzeugt eine neue Aroma- und
Geschmacksvielfalt, die uns im Westen nicht unbekannt ist und mit der Reifung einiger
Sherry, Port, Marsala und Madeira verglichen werden kann. Lange Reife verleiht Aged Sake
einen ausdrucksstarken und kraftvollen Körper mit ausgewogener Süße, Säure und zarter
Bitterkeit sowie eine kräftige, viskose Textur und einen langen Abgang. Die breitgefächerte
Aromen- und Geschmacksvielfalt reicht von süßen Noten (Honig, braunem Zucker, Melasse,
Karamell, Vanille und getrockneten Früchten) über Butter-, Schokoladen- und Kaffee- und
Nussnoten (Mandel und Walnuss) und Gewürzen (Anis, Nelke, Zimt, Pfeffer und
Muskatnuss) bis zu herzhaften Noten (Sojasauce, Shiitake, eingelegtem Gemüse und
Bouillon).

Durch die entstehenden gelbbraunen stickstoffhaltigen organischen Verbindungen
(Melanoide), wandelt sich der Farbton langsam von zitronengelb zu gold-, bernsteinfarben
und dunkelbraun um. Trockene Aged Sake passen sehr gut zu geschmacksintensiver japanischer, asiatischer und westlicher Küche, wie z.B. zu italienischen Gerichten auf Tomatenbasis, würzigen chinesischen Speisen, rustikalen Rindersteaks, deftigen Eintöpfen und aromatischen indischen Currys. Als Digestif passt Aged Sake hervorragend zu dem intensiven und pikanten Geschmack von Käse, wie z.B. Parmesan, Gorgonzola und Roquefort, aber auch zu bittererer Schokolade, trockenen Früchten, Nüssen und als Begleiter zu einer guten Zigarre.

Aged Sake Tasting in der Brauerei Kayashima, Kunisaki. In den klaren Flaschen kommt die sich durch die Reifung ergebende Färbung deutlich zur Geltung
Aged Sake Tasting in der Brauerei Kayashima, Kunisaki. In den klaren Flaschen kommt die sich durch die Reifung ergebende Färbung deutlich zur Geltung / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Reifung in den verschiedensten Gefäßen

Gereift wird Aged Sake in verschiedensten Gefäßen und an unterschiedlichsten Orten, die
Einfluss auf das Aroma und den Geschmack des Endprodukts haben. Das Spektrum reicht
von Stahltanks über Glasflaschen und Keramikgefäßen bis zu Holzfässern aus Zedern- oder
Eichenholz, die in Lagerhallen, Kühlräumen, Höhlen und sogar unter Wasser im Meer
gelagert werden. Ein Zeitrahmen ist für die Reifung von Aged Sake nicht vorgeschrieben und es gibt keine allgemeingültige Definition. Zumindest der 1985 gegründete private japanische Verein für langfristig gereiften Sake (Chōki jukusei-shu kenkyūkai, 長期熟成酒研究会) hat einige Leitlinien für seine Mitglieder festgelegt. Um das Altern unter anderem von der bloßen Verbesserung des ursprünglichen Aroma- und Geschmacksprofils zu unterscheiden, ist eine Mindestalterungszeit von drei Jahren vorgesehen.

Die Gruppe unterscheidet des Weiteren drei Stile:

Kojuku (濃熟), bei Umgebungstemperatur gereifter Sake mit tiefer Farbe, der sich extrem
von dem Aroma und Geschmack des Ausgangproduktes absetzt.

Sakemaische
Sakemaische / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Chūkan (中間), in einer Kombination aus niedriger Temperatur und Umgebungstemperatur
gereifter Sake mit tiefer Farbe, der immer noch einen Teil von dem Aroma und Geschmack
des Ausgangproduktes aufweisen kann und Awajuku (淡熟) als elegantesten Reifungsstil. Awajuku wird ausschließlich bei sehr niedrigen Temperaturen gereift. Das Ergebnis ist ein Sake mit heller Farbe, der viel von dem Aroma und Geschmack des Ausgangproduktes beibehält und oft mit zarter Bitterkeit veredelt ist.

Neben dem Verein für langfristig gereiften Sake existiert noch die im November 2020 neu
gegründete Toki Sake Vereinigung, diese hat sich der Vermarktung und auch der Forschung
von Aged Sake verschrieben hat und versucht, Spitzenprodukte angesehener Brauereien im
preislich oberen Segment des Marktes zu etablieren.

Wurzelballen verschiedener Reissorten, die speziell für Sake geeignet sind
Wurzelballen verschiedener Reissorten, die speziell für Sake geeignet sind / © FrontRowSociety.net, Foto: Kai Dräger

Aged Sake ist keine frühzeitliche Entdeckung oder Kopie westlicher Spirituosen, sondern
wurde bereits in Büchern von Tempeln und Verwaltungen in der ehemaligen japanischen
Hauptstadt Kamakura (1185–1333) erwähnt. In der nach dem damaligen Namen der
japanischen Hauptstadt Tōkyō benannten Edo-Zeit (1603 bis 1868) wurde z.B. ein neun Jahre lang gereifter Sake als Luxusware gehandelt und zu besonderen Anlässen gereicht.

Dieser neun Jahre alte Sake bzw. eine Reproduktion aus schwarzen Bohnen, Sake und Miso wird auch heute noch für kaiserliche Hochzeitszeremonien verwendet. Zwischen 1868 bis 1945 verschwand gereifter Sake dann aus dem Markt. Ursache war eine Veränderung der
japanische Steuergesetzgebung. Anstelle der Besteuerung zum Verkaufszeitpunkt wurde bereits an den Zeitpunkt der Produktion angeknüpft. Angesichts der hohen Steuerlast und dem Risiko, dass Sake beim Reifen auch verderben kann, bestand für Brauer kein Anreiz, Sake länger als notwendig zu lagern. Seitdem diese Besteuerung 1945 wieder abgeschafft wurden, bemühen sich einige Brauereien darum, Aged Sake auf dem japanischen Markt zu etablieren. Allerdings macht Aged Sake immer noch einen sehr geringen Teil des Inlandmarktes aus. Dies liegt insbesondere an der geringen Nachfrage und den kleinen Produktionsmengen der wenigen Brauereien, die Sake überhaupt länger reifen lassen.

Hinweis: Der in diesem Artikel der Einfachheit halber verwendete Begriff „Sake“ (酒) ist der unspezifische japanische Sammelbegriff für alle Alkoholika, einschließlich Bier und Wein. Der korrekte Begriff für das Getränk, das wir im Westen als Sake kennen, lautet in Japan eigentlich „Japanischer Sake“, „Nihon-shu“ (日本酒). Wer in Japan seinen „Sake“ bestellen möchte, sollte spezifisch nach „Nihon-shu“ (日本酒) fragen.

Ein Artikel von Kai Dräger

Ein weiterer Tipp: Wer sich für Aged Sake interessiert und diesen außergewöhnlichen Sake verköstigen möchte, kann das in Deutschland über die Website „aged-sake.de“, der „hin & her UG“, Tiroler Straße 23, 82515 Wolfratshausen bestellen.

Dieses ist ein redaktionell erstellter Artikel, der durch externe Unterstützung möglich gemacht wurde. Die Unterstützung hat jedoch keinen Einfluss auf den hier abgebildeten Inhalt. Es gilt der Redaktionskodex.

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