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Vor kurzem stolperten wir über ein Buch vom Ulmer Verlag „Essbare Wildsamen – Finden, sammeln, genießen“. Anke Höller und Doris Grappendorf haben hierin Unglaubliches und fast Vergessenes aufgeschrieben sowie 52 tolle, faszinierend schmackhafte Rezepte vorgestellt.

Auch der Hagebutte widmet sich Anke Höller in ihrem Buch „Essbarer Wildsamen“ / © Redaktion FrontRowSociety.net

Titel und Inhalt machten uns neugierig und gleichzeitig ratlos. Als moderner Mensch, in urbanen Verhältnissen aufgewachsen, wird man mit Nahrungsmittel rundum versorgt. Jetzt soll, nein darf man hinaus in die Natur und sich mit Essbarem vom Wegesrand beschäftigen. Grund genug für uns, den Weg ins Bergische Land anzutreten, um von Anke Höller neues, altes Wissens zu erfahren.

Anke Höllers Kräutergarten entpuppte sich als ein Ort, wo gute Geister ihre Heimat haben / © Redaktion FrontRowSociety.net

Der Weg zur Sammlerin

Anke Höller finden wir am Rande des kleinen Örtchens Radevormwald. Zwischen Bergen, Wäldern und Wiesen schlängelt sich eine schmale Straße durch die Landschaft. Der weite Blick über das Bergische Land entbehrt nicht einer gewissen Dramatik; hier ist also das Zuhause der Wildsamensammlerin und Buchautorin Anke Höller. Gemeinsam mit ihrem Mann Ralf und ihrer Tochter Marie lebt sie in der Zurückgezogenheit dieser grünen Idylle, mit sich und der Welt im Reinen, ein beneidenswerter Zustand.

Anke Höllers Zuhause liegt idyllisch inmitten von Wiesen und Wäldern / © Redaktion FrontRowSociety.net

Doch das war nicht immer so. Als Kommunikationstrainerin und Coach war der Koffer ihr ständiger Begleiter, ein wenig Privatsphäre gab es nur auf dem Hotelzimmer. Ihr jetziges Zuhause verkörperte für sie und ihren Ehemann schon damals einen Zufluchtsort, der Gang durch die Natur eine Atempause vom Alltag. 

Die Inspiration, sich wilden Kräutern und deren Samen zu widmen, verdankt Anke Höller ihrer Freundin, der Biologin, Heilpraktikerin und Co-Autorin Doris Grappendorf. Und nach Jahren der Erfahrung im Erkennen, Sammeln und Verarbeiten der Wildsamen sowie etlichen Kursen und stetigen Weiterbildungen zu diesem Thema, stellte Anke Höller ganz unauffällig ihren Buisiness-Koffer in Ecke und widmet sich seither der ursprünglichen Ernährung aus der Natur.

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Naturnahe Ernährung ist möglich. Es bedarf nur Mut und Hintergrundwissen, welches sukzessive erweitert werden kann. Mit der recht bekannten Taubnessel kann beispielsweise begonnen werden / © Redaktion FrontRowSociety.net

Die Entdeckungen der heimischen Flora

Nach der freundlichen Begrüßung mit erfrischender, hausgemachter Kräuterlimonade treten wir den Weg an, um Bekanntes und Erstaunliches in der Natur zu entdecken. In ihrem eigenen Kräutergarten kultiviert Anke Höller beispielsweise Engelwurz, Thymian, Salbei, Mohn oder Nachtkerze. Wobei die Bezeichnung „kultivieren“ übertrieben ist. Der Natur wird freien Lauf gelassen, es bedarf lediglich einiger Handgriffe des Zähmens mancher dominierender Pflanzen.

Versteckt hinter dem Engelwurz sitzen wir mit Anke Höller (re.) in ihrem Wildkräutergarten; diese üppig wachsenden Burschen gilt es zu zähmen / © Redaktion FrontRowSociety.net

Mit Anke Höller gehen wir offenen Auges durch die Natur. Genießen den Luxus, gerade frei von Zwängen zu sein. Bei der Beschäftigung mit unserer Umgebung fällt der Stress von uns ab und wir tauchen in Wälder und Wiesen ein, erkennen sie als Ort, wo gute Geister wohnen. Überwältigt von intensiven Gerüchen nehmen wir auch Zeit anders wahr, freuen uns sogar über einige Regentropfen, die Wald und Kräuter noch prägnanter duften lassen.

Was es in unserer Flora an gesunden Köstlichkeiten zu finden gibt, erfahren wir auf einer Wanderung durchs Bergische Land von Anke Höller / © Redaktion FrontRowSociety.net

Superfood – klimaneutral und gesund

Auf unserer Exkursion entdecken wir Wegerich. Dessen Samen sind das heimische Pendant zu Flohsamen. Sammeln, trocknen und beispielsweise im Müsli oder Porrigde verzehren. Der Körper und unsere Umwelt werden es danken, da diese Samen nicht erst nach Deutschland einflogen werden mussten und ohne jegliche Verpackung auskommen.

Spitzwegerich wächst – wie sein Name schon sagt – auf verdichteten Böden wie festgetretenen Pfaden /© Redaktion FrontRowSociety.net

Über den gerade blühenden Rotklee erfahren wir, dass dieser eine heilende Wirkung bei Frauenbeschwerden hat, dass das Klettenlabkraut blutreinigend wirkt und zur gleichen Pflanzenfamilie gehört wie die Kaffeepflanzen. Die Samen der Brennnessel – jeder wird sie kennen – sind wahre Powerpakete. In ihnen steckt mehr Eiweiß als in einem Steak, während man die Süßdolde – ganz dem Namen nach – als Naschwerk für Lakritz-Fans verwenden kann.

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Die Blüten des Rotklee sehen nicht nur hübsch aus, sein Samen ist besonders nährstoffreich. Der Samen kann gemahlen werden und mit anderen Mehlsorten entstehen daraus wunderbare Plätzchen / © Redaktion FrontRowSociety.net
Süßdolde – Nascherei vom Wegesrand. Allerdings sollte man Lakritz mögen / © Redaktion FrontRowSociety.net

Am Wegrand wächst auch Weißdorn. Er wirkt sich positiv auf die Herzgesundheit aus, unter seinem stacheligen Dach darf man sich beschützt fühlen. Der Wiesenkerbel hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Scharfgarbe. Als erster Doldenblütler – er blüht vor der Scharfgabe – kann er nicht mit dieser verwechselt werden. Und die wilde Knoblauchsrauke schmeckt tatsächlich intensiv nach Knoblauch, wohingegen der Samen des Hirtentäschelkraut als würziger Pfefferersatz dienen kann.

Fündig geworden: Hirtentäschel, seine Frucht erinnert an die Tasche eines Hirten und kann von Juni bis September geerntet werden / © Redaktion FrontRowSociety.net
In den langen Schoten der Knoblauchsrauke entwicklen sich Samen, die nach Knoblauch und Kresse schmecken. Im Juli und August können sie gesammelt werden / © Redaktion FrontRowSociety.net

Es ist schon faszinierend, wieviel die Natur uns in unserer unmittelbaren Umgebung schenkt. Leider gehen wir zu oft unbedacht an diesen Schätzen vorüber, haben verlernt, was gut für unsere Gesundheit ist. Von Anke Höller nehmen wir geballtes Wissen mit nach Hause und versuchen es in unseren Alltag zu integrieren.

Anke’s Kräuterschule

Anke Höller teilt ihr Wissen gern. Einerseits mit ihrem Buch „Essbare Wildsamen“ und anderseits in ihrer Kräuterschule. Zu diesem Zweck baute ihr Mann Ralf die einstige gute Stube als Seminarraum aus. Mit viel Liebe zum Detail entstand ein atmosphärischer Raum, ein wahrer Wohlfühlort aus Naturmaterialien. Am langen Holztisch sitzen die Teilnehmer der Workshops und erfahren hier mit allen Sinnen Wissenswertes über Wildsamen und Heilkräuter.

Im Garten von Anke wachsen die unterschiedlichsten Wildpflanzen, auch Mohn. Aus dessen Samen stellt sie ein hervorragendes Bananen-Mohn-Eis her. Die Teilnehmer der Kräuterabende sind eingeladen, bei der Herstellung selbst aktiv zu werden und natürlich auch zu schlemmen / © Redaktion FrontRowSociety.net

Anke Höllers Kräuterschule wirkt authentisch. Filzfigürchen verstecken sich in Fensternischen, von einer Freundin getöpferte Keramikschälchen werden liebevoll mit Schmankerln aus der Wildsamenküche gefüllt und eigene Teemischungen reicht Anke Höller als Erfrischung. Die monatlich stattfindenden Kräuterabende sind gut gebucht. Jeder Abend gehört einer Pflanze – als ganzheitliche Erfahrung bestehend aus Theorie, Praxis und Kulinarik.

In Anke Höllers Kräuterschule findet sich handgemachte Keramik einer Freundin und eine von Tochter Marie geschnitzte Holzschaufel / © Redaktion FrontRowSociety.net

Die Kulinarik wird auch den letzten Zweifler überzeugen, sich ein Körbchen zu schnappen, um Wildsamen zu sammeln. Denn was Anke Höller daraus zaubert, sind noch nie erspürte Geschmackswunder. Für uns hatte sie unter anderem Nachtkerzen-Sesam-Butter – das Rezept ist im Buch auf Seite 99 zu finden – zubereitet. Diese ist ein absoluter Genuss mit dem Saatenbrot – dieses Rezept gibts auf Seite 83 – oder einem Walnuss-Sauerteig-Brot.

Gutes aus der Wildsamenküche! Der Tisch ist reich gedeckt mit gesunden und wahnsinnig schmackhaften Zubereitungen / © Redaktion FrontRoeSociety.net

Den Teilnehmern empfiehlt Anke Höller mit dem Sammeln des Samens von bekannten Pflanzen zu beginnen. Jahr für Jahr sollte bzw. kann das eigene Repertoire um ein bis zwei Pflanzen erweitert werden. Unbekanntes sollte der Neuling besser in der Natur belassen. Die intensive Beschäftigung mit Pflanzen und ihrer Wirkung bringt immer mehr Routine und sicherlich ein entspannendes Freizeitvergnügen, das mit ganz leisen Tönen auskommt.

Austausch zwischen „Kräuterfrau“ Anke Höller (li.) und Redakteurin Annett Conrad (re.) in der ländlichen Idylle des Bergischen Landes / © Redaktion FrontRowSociety.net

Neben den Kräuterabenden darf mit Anker Höller auch auf Wanderung gegangen werden. Außerdem veranstaltet sie Kochkurse, einen Jahreskurs zum Thema Kräuterapotheke – man trifft sich einmal pro Monat – sowie einen spannenden Schokoladenkurs. Interessierte werfen vielleicht einmal einen Blick auf www.bergischeskraeuterstuebchen.de.

Essbare Wildsamen, das Nachschlagewerk

Die Samen der Wildkräuter sind alphabetisch geordnet von Ackerhellkraut über Fichte, Hagebutten, Vogelmiere bis zur Wilden Möhre. Jede Pflanze wird hinsichtlich Standort, Reifezeit, Ernte und Verwendung porträtiert, ein schmackhaftes Rezept gibts obendrein dazu.

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Die Nachtkerze blüht nur eine Nacht und wird von Nachtfaltern bestäubt. Geschmacklich kommt der Nachtkerzensamen dem des Sesam sehr nahe. Eine kleine Abhandlung über die Nachtkerze wurde im Buch auf Seite 98 geschrieben / © Redaktion FrontRowSociety.net
Anke Höller macht aus diesem Samen beispielsweise eine Nachtkerzen-Sesam-Butter – einfach himmlisch  / © Redaktion FrontRowSociety.net

Zuvor wird der Leser in die Welt der Wildsamensammlung eingeführt. Anke Höller und Doris Grappendorf erzählen über die Lust am Sammeln, was den Wildsamen so wertvoll macht, über Wildsamen als Gesundheitsfutter, wie Wildsamen richtig geerntet und verwendet wird. Spätestens hier wird klar, dass es sich lohnt, sehend durch die Natur zu streifen.

Walnüsse sind bekannte heimische Vertreter. Auf Seite 122 gibt es die Anleitung, karamellisierte Walnüsse zu zubereiten.

Walnüsse – unter der harten Schale versteckt sich gesunder Genuss / © Redaktion FrontRowSociety.net
Leckeres Naschwerk: karamellisierte Walnüsse als Alternative zu Chips und Co. / © Redaktion FrontRowSociety.net

Brennnesseln werden nunmehr mitnichten als „Unkraut“ betrachtet. Sie sind ein Hort für Schmetterlinge und Falter. Ihr Samen wird zu würzigem Brennessel-Gomasio verarbeitet. Einfach ein Saatenbrot mit Butter bestreichen, darüber streuen, fertig ist der pure Wildsamengenuss.

Das würzige Brennnessel-Gomasio (oben links) ist ein perfekter Ersatz für fertigen Brotaufstrich. Es schmeckt ebenfalls im Müsli oder verfeinert Suppen / © Redaktion FrontRowSociety.net

Nachzulesen:

Titel: Essbarer Wildsamen 
Verlag: Eugen Ulmer KG
ISBN: 978-3-8186-0648-0
Erscheinungsjahr: 2019
Autoren: Anke Höller & Doris Grappendorf

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