Nichts ist schwieriger, als sich auf seine Instinkte zu verlassen. Und genau jene Instinkte sind gefragt, wenn an einer Blindverkostung teilgenommen wird. Ob geübter Weinkenner oder Newcomer, jeder Teilnehmer verfügt schlichtweg über das gleiche Werkzeug, seine Sinne.
Langsam wird sich an den roten oder weißen Tropfen herangetastet. Und das buchstäblichen, jedoch nicht im ersten Schritt. Was der Connaisseur im Wein erkennt, wird von den bis dahin gesammelten Sinneseindrücken bestimmt. Also lassen wir uns von den Inhalten unserer eigenen Datenbank leiten, die wir im Laufe der Zeit mit Geruchs- sowie Geschmacksempfindungen bestückt haben.
Blindverkostung – ein sinnliches Erlebnis
Bereits wenn der Wein ins Glas fließt, erzählt er uns eine Geschichte. Unzählige Facetten von Rot oder Weiß lassen sich schon erkennen. Sein Verhalten im Glas wird ebenfalls sichtbar, was durch das Schwenken des Glases noch genauer betrachtet werden kann. Der Genuss oder die Beurteilung beginnt also mit den Augen.
Im nächsten Schritt wird unser olfaktorischer Sinn angesprochen. Tief atmen wir das Bouquet des Weins, gönnen der Nase einen Augenblick der Ruhe und versuchen es erneut und erneut, um immer tiefer in das Geruchsspektrum einzutauchen.
Und im dritten Schritt strengt sich der Tastsinn an. Dabei sollte man die taktilen Fähigkeiten unserer Zunge nicht unterschätzen, können sie uns doch eine Menge über die Struktur des Probanden verraten. Unsere Zunge und unser Gaumen sind nun an der Reihe, der Geschmack steht auf dem Prüfstand, aber auch das Mundgefühl.
Und wer sich noch mit netten Menschen über seine „Ergebnisse“ der Blindverkostung austauscht, bemüht auch noch sein Gehör. Schlussendlich wird Bilanz gezogen und nach der „Auflösung“ wird so mancher überrascht sein, welche Rebsorte, welches Anbaugebiet oder Weingut oder auch Jahrgang zum Vorschein kommen.
Blindverkostung – professionelle Ernsthaftigkeit oder fidele Muße
Für die Weinmacher ist die Verkostungen ihrer Produkte von Experten des Weinmarktes ein wichtiges Kriterium zur Qualitätsbeurteilung; für Weinliebhaber sind die Blindproben gesellige Veranstaltungen mit Gleichgesinnten.
Jene Gesinnungsgenossen pilgern zu diesem Zweck alljährlich zum Rheingau Gourmet & Wein Festival. Veranstalter H.B. Ullrich versteht es Jahr um Jahr, edle Weine aus fast allen Region der Welt und außergewöhnliche Raritäten einem breiten Publikum zu zuführen.
Dabei sitzen im Hotel Kronenschlösschen Größen der vinophilen Fachwelt, neben Menschen, für die das Trinken eines guten Weins ein Stück Lebensqualität darstellt. Sie treffen sich nicht im sportlichen Wettkampf, sondern um ihre Sinne zu schärfen. Je mehr Eindrücke gesammelt und abgespeichert wurden, desto besser lassen sich feine Nuancen unterscheiden. Die Probe auf dem weltweit größten Festival dieser Art wird zu einem wahren Fest der Sinne und zu einem intensiven Austausch von subjektiven Wahrnehmungen.
Für manchen Liebhaber großartiger Weine hat die Blindweinprobe etwas Knochenehrliches. Das Degustationsobjekt hat nicht die Chance, sich eines bekannten Namens zu rühmen oder gar mit einem raritären Jahrgang aufzutrumpfen, nein hier stehen die einzelnen Protagonisten Seite an Seite an der gleichen Startlinie.
Auf dem 22. Rheingau Gourmet & Wein Festival galt es, 14 Weißweine sowie 18 Rotweine zu verkosten. Das Menü dazu kreierte Simon Stirnal, Küchenchef im Kronenschlösschen, in Zusammenarbeit mit Reuben Riffel, einer der besten Köche Südafrikas.
Dabei ist Food and Wine Pairing noch eine Wissenschaft für sich. Gilt es doch den Umami-Geschmack zu finden, so ist Food and Wine Pairing letztendlich die Harmonielehre eines Degustationsmenüs. Zu einer Blindprobe kein leichtes Unterfangen, doch Simon Stirnal verführte die Gaumen der Degusteure mit roh mariniertem Offiziersbarsch mit Gurke, Dill, Paprika und Austern.
Als Hauptgang servierte Simon Onglet vom US-Prime Beef mit Zwiebeln, Mais und einer fantastischen BBQ-Jus. Der Nierenzapfen des Rinds ist reines Muskelfleisch und steht gerade bei Grill-Fans hoch im Kurs.
Reuben Riffel betreibt seine Restaurants „Reuben’s“ in der Kapregion. Naheliegend für den Koch war da die Zubereitung einer Brühe von Meeresfrüchten nach Art Cuisine Cape Malay, in welcher die traditionelle südafrikanische Küche des Kaps mit Einflüssen aus Malaysia fusioniert.
Für das Dessert fühlte sich Reuben Riffel ebenfalls der Tradition verpflichtet und kredenzte einen Malva Pudding, der im besten Sinne ein fluffiger Kuchen ist.
And the winner is …
Gibt es bei der Blindverkostung Gewinner? Ja, die Teilnehmer dieser Veranstaltung. Jeder Einzelne gewann an Erfahrung sowie einen kurzweiligen Nachmittag, an welchen in manch weinseeliger Stunde gern zurück gedacht werden wird.
Dennoch war es faszinierend zu sehen, wie nah beieinander die Geschmäcker der Profis und Amateure lagen. Und im Weißwein-Segment, wenn es einmal so nüchtern bezeichnet werden darf, spielten deutsche Weine auf den vorderen Plätzen mit.
Hier gab es ein Heimspiel für das Weingut Georg Breuer mit einem 2011 Rüdesheimer Berg Schlossberg (Platz 3) und für das Weingut Georg Weil mit einem 2011 Kiedrich Gräfenberg (Platz 5).
Der 2015 Kitterlé Grand Cru Riesling der Domaines Schlumberger aus dem Elsaß ergatterte von den geübten Gaumen einen Punkt mehr als der zweitplatzierte 2011 Chardonnay Private Reserve der Beringer Vineyards in Kalifornien und war somit der Weißweinfavorit des Nachmittags.
Im roten Bereich führte recht klar ein 1995 Bacio Divino aus Napa Valley noch vor einem rassigen Spanier, dem 1995 Reserva Especial der Hacienda Monasterio. Große Namen wie Gaja oder Vega Sicilia wurden bei dieser Verkostung auf die hinteren Plätze verwiesen. Blindverkostungen sind halt knochenehrlich.