Aus dem Hafen von Piräus sind sie nicht wegzudenken – die riesigen Fähren nach Heraklion und Chania. Über Nacht geht es vom griechischen Festland nach Kreta, entspannt und mit feiner griechischer Küche auf dem Teller.
Mit ihren elf Decks überragt die „El. Venizelos” an diesem Julitag mühelos die Fähren links und rechts neben ihr. Schatten spendet sie tagsüber dennoch nicht: Mit ein paar Sonnenschirmen müssen sich die wartenden Passagiere bis zum Boarding am Abend begnügen. Um 19 Uhr ist es endlich soweit. An Bord geht es in Griechenlands Fährhafen Nr. 1 über das Heck, wo lange Rolltreppen neben der Autorampe hinauf in die öffentlichen Räume des Schiffes führen. Auf Deck 7 befindet sich meine Kabine. Nr. 7216 ist eine Einzelkabine, die früher mal eine Zweibettkabine gewesen ist. Der Boden Laminat im Holz-Look, und Bett, Stühle und Schrank ebenfalls in Kiefern-Optik – ein Ensemble wie aus dem IKEA-Katalog. Ein Deck unter mir rumpeln die Lastwagen über das Stahldeck, doch ans Schlafen wollen wir ja vorerst noch nicht denken.
Aus Kreta, für Kreta
1.850 Passagiere, 366 Autos und 71 LKWs sind heute Nacht an Bord, eine mehr als gute Auslastung für einen Montag im Juli. Auf der Chania-Route kann sich ANEK Lines der Loyalität der Bevölkerung und Unternehmer Westkretas sicher sein, das ist heute nicht anders als vor 50 Jahren. Damals war die „Anonymi Naftiliaki Etaereia Kritis“ (ANEK) als Initiative westkretischer Unternehmer gegründet worden; Anteilseigner der neuen Reederei durften nur Einwohner der größten Insel Griechenlands sein. Zweck der Unternehmensgründung war nach dem Untergang des Passagierschiffes „Heraklion“ 1966 eine sichere und zuverlässige Schiffsverbindung für die Bauern, Kaufleute und Handwerker Kretas zum griechischen Festland.
Die „El. Venizelos” fährt seit 1992 unter ANEK Lines-Flagge. Pünktlich zum 25jährigen Jubiläum ihrer Reederei stieß das in Polen gebaute Schiff zur Flotte. Getauft auf den Namen des kretischen (und griechischen) Staatsmannes Eleftherios Venizelos (1864 – 1936), setzte das Schiff in der griechischen Fährschifffahrt, aber auch darüber hinaus neue Maßstäbe und sollte für viele Jahre die größte und luxuriöseste Nachtfähre im Mittelmeer bleiben. Seit der Saison 2000 überwiegend verchartert, kehrte die „El. Venizelos” jedoch erst 2017 wieder dauerhaft in ihre Heimatgewässer zurück, und zwar auf jene Fährlinie, mit der auch für ihre Reederei einmal alles angefangen hatte: Piräus – Chania.
Eine schwimmende Schlafhalle
Nur das Bord-Konzept hat sich mit der Zeit gewandelt. Auffällig ist z. B. der „Aufsatz“ achtern auf Deck 10/11, der auf der „El. Venizelos” eine imposante zweistöckige Disco beinhaltet. Als solche genutzt wird der Nachtclub aber nicht mehr. Wie die Main Lounge vorne ist auch die „Disco“ vielmehr ein riesiger Schlafsaal mit angegliederter Bar. Gemütlich ist es hier nur während der Tagesfahrten und früh am Abend, wenn das Boarding gerade erst begonnen hat. Draußen an Deck darf dagegen der obligatorische Swimmingpool nicht fehlen, allerdings: Es ist kein Wasser drin, und das verwundert dann doch. Heißer als im Juli wird es in Griechenland schließlich nicht. Schade.
Als die „El. Venizelos” Piräus am späten Abend verlassen hat, komme ich in den Genuss der griechischen Gastfreundschaft. Meine Innenkabine darf ich auf Geheiß des Kapitäns gegen Suite Nr. 25 auf Deck 10 eintauschen, und ein Abendessen im A la Carte-Restaurant bekomme ich gleich noch mit dazu. Da sagen wir doch ευχαριστώ (Dankeschön) und genießen die Fahrt nach Kreta gleich noch ein bisschen mehr. Denn schon der Grüne Salat mit rohem Schinken vorab geht portionsmäßig glatt als Hauptspeise durch. Und auch dem Schweinefilet mit Artischocken und Pilzen als Hauptgericht kann man ohne weiteres Kreuzfahrt-Standard attestieren. Auch vom Abstand zwischen den Tischen im Restaurant kann man anderswo nur träumen. Platz spielt in den öffentlichen Räumen der „El. Venizelos” keine Rolle, und im Gegensatz zu einem vollen Restaurant speist es sich in einem halbleeren sowieso gleich viel entspannter.
Der überwiegende Teil der Passagiere hat die „El. Venizelos” jedoch am späten Abend in eine schwimmende Schlafhalle verwandelt. Auf allen Decks erblickt man plötzlich ausgerollte Isomatten, Schlafsäcke und Luftmatratzen, so weit das Auge reicht, dazu Rucksäcke, Koffer, Taschen und Tüten in allen Korridoren. Freie Sessel oder Sofas gibt es keine mehr, selbst an Deck haben es sich dank der warmen Sommerluft viele Passagiere für die Nacht bequem gemacht.
Fast mit ein wenig schlechtem Gewissen ziehe ich mich in meine Kabine zurück, wo um Mitternacht zwar ein Fernseher auf mich wartet, ich aber nach einem anstrengenden Tag in Piräus selbst dazu zu müde bin. Nur zu einem kleinen rebellischen Akt reicht es noch. Denn die einzige Steckdose weit und breit versorgt ausgerechnet die Mini-Bar mit Strom. Da ist mein Handy-Akku heute Nacht wohl einfach mal wichtiger. In der Mini-Bar sind eh nur zwei Flaschen Wasser.
Sonnenaufgang über Chania
Meine Nacht verläuft dennoch unruhig. Die Klima-Anlage ist unfassbar laut, außerdem kommen Geräusche und Getrampel von über, unter und neben meiner Kabine. An der ist jedoch ansonsten nichts auszusetzen. Einen Schreibtisch gibt es, einen schönen Polstersessel, besagte Mini-Bar, Parkettfußboden und dazu Wände und Vorhänge in mintgrün. Nur die Nachttischlampe flackert. Und bei offenem Fenster schlafen ging leider auch nicht, denn das Fenster geht hinauf aufs Bootsdeck, und dort herrscht spätestens am Morgen wieder mächtig Betrieb. Schließlich ist die Einfahrt in den Golf von Souda äußerst sehenswert. Der Chania vorgelagerte Hafen, der gleichzeitig Fähranleger und Marinebasis ist, liegt am Ende eines fjordähnlichen Meeresarms und ist an beiden Seiten von bewaldeten Hügelketten und Bergen umgeben. Wenn dann noch früh am Morgen über genau diesen Bergen die Sonne aufgeht – perfekt.
Zum Glück ist die Ankunft mit 7 Uhr zwar zeitig, aber nicht wie auf so manch anderer griechischer Fähre allzu unchristlich früh. Da bleibt Zeit genug, um an Deck in Ruhe die Hängematte einzurollen, den Hund anzuleinen und Sack und Pack zusammenzuschnüren, wenn man nicht gerade mit Rollkoffer unterwegs ist. Selbst ein Vogelkäfig mitsamt gefiedertem Bewohner wartet wenig später in einer der Lounges auf die Ausschiffung. Die allerdings verläuft dann wieder typisch griechisch. Hat man sich als Fußpassagier mitsamt Gepäck im Halbschlaf die engen Treppen und Rolltreppen im Innern des Schiffes hinuntergezwängt, erwartet einen auf dem Kai eine Kakophonie aus hupenden Autos, dem Geknatter von Motorrädern und Mopeds und den Trillerpfeifen der Hafenpolizei, die diesem Chaos tagein, tagaus aufs Neue Herr werden muss. Nachdem die „El. Venizelos” pünktlich um 7 Uhr festgemacht hat, darf aber wenigstens sie sich bis zum Abend ein wenig ausruhen.
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