Die größte Insel der Erde kennt jeder, doch wenn es um die weltweit größte Süßwasserinsel geht, geraten viele ins Stocken. Des Rätsels Lösung heißt Manitoulin Island, die in Kanadas Lake Huron zu finden ist. Dieses idyllische Fleckchen Erde ist nicht nur wegen der traumhaften Landschaft eine Reise wert, sondern auch wegen der geschichtsträchtigen Vergangenheit.
Unceded Indian Reserve
Hier befindet sich Wikwemikong, das einzig offiziell anerkannte indigene Territorium in Kanada, das nie abgetreten wurde. Mit regelmäßigen Zinsen wollte die Krone die Indigenen im östlichen Teil von Manitoulin Island locken, ihr Land zu verkaufen. Was vielen von uns erst durch einen 80er-Jahre Aufkleber bewusst wurde, der als Weissagung der Cree seine Runden machte, war der Three Fires Confederacy schon im 19. Jahrhundert bewusst: Geld kann man nicht essen. Es gab genug zum Jagen, Fische waren auch reichlich vorhanden und der Deal wurde erfolgreich abgewehrt.
Sprachverlust durch Residential Schools
Zwar behielten die First Nations ihr Reservat, doch das durften sie nicht ohne wichtigen Grund verlassen. Wollten sie Teil der kanadischen Community sein, mussten sie ihren indigenen Status abgeben. Auch wenn sie das nicht gar wollten, hatte die Regierung andere Pläne. Mit Einzug der Residential Schools wurden massig Kinder der indigenen Völker aus ihren Familien gerissen, um sie in einem Internat abseits der Reservate ihrer Sprache und Kultur zu berauben. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Schulen unter dem Deckmantel des „Zivilisierungsauftrags“ bis 1996 existierten.
Back to the roots im Haus der Sprachen
Seit kurzem gibt es auf der Insel ein privat finanziertes Sprachenhaus, in dem alle Betroffenen und Wissbegierigen willkommen sind. In einer geschützten Umgebung wird hier bei Suppe und Stew die Erhaltung und Wiederbelebung der eigenen Kultur und Sprache angeboten. Das ist auch dringend nötig, denn in vielen Fällen sind nur noch die „Elders“ ihrer Sprache mächtig. Deren Kinder waren Leidtragende der Residential Schools und so umgepolt, dass sie der nächsten Generation untersagten, Anishinaabemowin zu sprechen. Damit die Sprache nicht ausstirbt, wird sie nun wieder vermehrt in Schulen unterrichtet.
Tourismus hält Einzug in Wiikwemkong
Trotz dieser traumatischen Ereignisse haben sich die Ojibwe, Odawa, und Pottawatomi vor 20 Jahren erstmals dazu entschlossen, Touristen auf ihrem Land mehr zu bieten als den jährlich stattfindenden Pow Wow. Besucher bekommen heutzutage einen Einblick in die authentische indigene Lebensart, im Gegenzug entsteht den Gastgebern dadurch die Möglichkeit, ihre Geschichte zu verbreiten, aufzuklären und Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Dafür wurden sie unter anderem mit dem Indigenous Adventure Award ausgezeichnet. Mittlerweile ist der Tourismus in den Sommermonaten die Einnahmequelle Nummer 1.
Das Tanzbein schwingen mit den Rolling Thunder Dance Traditions
Auch heute kommen Besucher noch in Berührung mit dem eindrucksvollen Spektakel namens Pow Wow. Während ein aus mehreren Männern bestehender Trommelkreis für die Beats und den Gesang sorgt, fegen die Tänzer/innen in ihren Regalia (und wehe dem, der das ein Kostüm nennt) flink, elegant und imposant über die Showbühne. Der Wow-Faktor steht den Zuschauern ins Gesicht geschrieben, ob man sich bei der Aufforderung zum Mittanzen ähnlich bewegen kann, immerhin befindet sich ein World Champion Dancer unter der Crew, ist eher fraglich.
Animismus und die Sieben Lehren der Großväter
Die Reise führt auch zu einem traditionellen Wissenshüter. Der erzählt an einem Lagerfeuer vom indigenen Glauben: der Entstehungsgeschichte, dem Schöpfer und den sieben heiligen Lehren, die aus Tugenden bestehen. Jede Tugend ist einem Tier zugeordnet. So wird die Bescheidenheit mit dem Wolf verbunden, denn um zu überleben, muss der seinen Rang im Rudel kennen. Die Befolgung der Lehren hilft den Anishinaabeg, sich ethisch zu verhalten und ihre Zeit auf der Erde produktiv zu nutzen. In ihrem Glaubenssystem haben alle Dinge eine Seele und einen Spirit, weshalb sehr respektvoll mit der Natur umgegangen wird.
Clansystem und Tabakgaben
Jeder Mensch hat Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schutz, Bildung, Medizin und Führung. Daher wurden sieben Clans gegründet, die auch wieder durch unterschiedliche Tiere repräsentiert werden. Zum Vogel-Clan gehören spirituelle Menschen. Der Huf-Clan gilt als sanftmütig und kümmert sich um die Gemeinschaft. Zum Wandern nimmt man am besten einen Bären mit, denn die wissen genau, welche Wurzeln, Rinden und Pflanzen als Medizin geeignet sind. Der erklärt einem dann, dass Zugehörige vom Stamme Nimm nicht einfach in den Wald marschieren und Pflanzen pflücken sollten. Alles hier ist ein Geben und Nehmen. Deshalb wird Tabak als Zeichen des Respekts und als Opfergabe genutzt. Bietet man einer Pflanze Tabak an und erklärt, warum man da ist, gibt diese die Information laut spirituellem Glauben an andere Gewächse weiter.
Kein Abschied für immer
Am Ende der viertägigen Tour versammeln sich alle Teilhabenden in einem Kreis, dem sogenannten Closing Circle, um das Geschehene Revue passieren zu lassen. Jeder teilt in dieser intimen Runde seine prägnantesten Erfahrungen dieses Trips, erzählt kleine Anekdoten oder beschreibt, wie schwer die historische Seite zu verdauen ist. Tabak und Medizin tauschen die Besitzer und während der Zeremonie bleiben nicht alle Augen trocken. Am Schluss bedanken sich beide Seiten in der Sprache der Gastgeber beieinander. Miigwetch heißt das. Oder chi miigwetch, wenn man der Danksagung Nachdruck verleihen will. Alle entscheiden sich für letztere Version, denn das hier Erlebte war einzigartig und wird garantiert einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
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