Wer hätte es schon gewusst, dass das Bundesland Thüringen am Meer liegt? Den Rennsteig, schon zu Vorkriegs- und DDR-Zeiten populärster Wanderweg Mitteldeutschlands, kennt fast jeder Natur- und Wanderfreund. Das „Thüringer Meer“ hingegen ist vielen ein geografisches Rätsel.
Schon Sänger Heino stimmte das Fluss-Lied an, das bereits 1826 auf der Rudelsburg von Franz Kugler verfasst wurde: „An der Saale hellem Strande, stehen Burgen stolz und kühn…“.
Wer sich heute von der idyllischen Kreisstadt Saalfeld mit den weltbekannten Feengrotten, auf den nur 15 Kilometer kurzen Weg zum „Thüringer Meer“ macht, folgt dem gewundenen Lauf der Saale.
Nach der Moldau ist sie mit 416 Kilometern zweitlängster Nebenfluss der Elbe, aber erst ab Halle schiffbar. An ihrem Ufer liegt in Mukrena bei Bernburg der Heimathafen des beliebten Flusskreuzfahrtschiffes SANS SOUCI, das als einziges die Region verlässt und sogar verschiedene Häfen Sachsens, Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Schleswig-Holsteins ansteuert.
Des Rätsels Lösung
Den langen Rest des nicht schiffbaren Flusses haben bis 1938 nur flachgehende Holzflöße genutzt. Bis der Energiehunger immer größer wurde und man sich der Wasserkraft besann. 1936 waren die Pläne fertig und der Bau des Staudamms Hohenwarte begann. Eine Mauer wurde dort hochgezogen, wo das Thüringer Schiefergebirge am dichtesten zusammenrückt. Auf dem gekrümmten zwischen 54,7 unten und oben 6,7 Meter breiten Betonwall, im Volksmund die „Sperre“ genannt, verläuft in 75 Metern Höhe sogar eine 412 Meter lange Straße, von der man tief ins Tal oder auf das „Thüringer Meer“ blicken kann. Des Lösungs Rätsel liegt einem hier quasi zu Füßen.
Ein tonnenschwerer Anker weist am Wegrand den Besucher darauf hin, dass hier auch Seen-Fahrt stattfindet.
Und richtig, auf der Seeseite liegen drei schmucke Motorschiffe. Die HOHENWARTE, SAALELAND und SAALETAL gehören der Reederei „Fahrgastschifffahrt Hohenwarte“ von Falko Thiesel, wie eine Hinweistafel am Anleger ausweist.
Der gelernte Gastronom und Hotelier hat sie erst kürzlich vom pensionierten Vorbesitzer erworben und noch viel vor mit seiner Stausee-Flotte. Thiesel selbst ist vor Ort und sprudelt vor Unternehmungslust: „Wir bieten nicht nur Linien-, Rund- und Kaffeetouren, sondern auch Mondscheinfahrten und einmal pro Jahr Ende Juli ´Stausee in Flammen` mit großem Feuerwerk“.
80 Kilometer Seevergnügen
„Der Hohenwarte-Stausee“, so erfährt man von Kapitän Joachim Krauße – der Vier-Streifen-Mann nennt sich, wie in der Binnenschifffahrt üblich, „nur“ Schiffsführer – „ist 27 Kilometer lang und bis zu einem Kilometer breit. Die tiefste Stelle befindet sich mit 68 Metern Wassertiefe an der Sperrmauer. Bei 182 Millionen Kubikmeter Inhalt ist unser Hohenwartestausee der drittgrößte Deutschlands mit einer Fläche von 7,3 Quadratkilometern“.
1941 wurde das Bauwerk abgeschlossen, wobei vorab die 250 Bewohner des später gefluteten Dorfes Presswitz umgesiedelt wurden. Schiffseigner Thiesel, befragt nach der Turbinenleistung, weiß auch das: „63 umweltfreundliche Megawatt, die von der Vattenfall Europe AG ins Netz gespeist werden“.
Die Prioritäten des norwegischen Unternehmens seien Hochwasserschutz, Energieerzeugung und Tourismus, den Falko Thiesel sich auf die Fahnen geschrieben hat. Schiffsführer Krauße profitiert schon zwölf Jahren davon, seit er seinen 37-Tonner über den See steuert. Der ist Teil der rund 80 Kilometer langen, fünfmal hintereinander gestauten Saale-Kaskade, dem mit der Bleichlochtalsperre größten zusammenhängenden Stauseegebiet Deutschlands.
Schön wie Norwejen
Krauße ist stolz wie Bolle darauf, das 96 Jahre alte Schiff „ohne viel digitalen Schnickschnack“ fahren zu dürfen. Die spätere 25 Meter lange, 5,85 Meter breite und 1,20 Meter tiefgehende SAALETAL wurde 1923 in Düsseldorf-Oberkassel als RHEINPERLE für die Rheinfahrt gebaut und nach der Wende per Tieflader und Kran ich ihr neues 282 Meter hoch gelegenes Heimatgewässer befördert.
Ein 170 PS leistender Acht-Zylinder-Deutz-Diesel sorgt für beschauliche 12 Kilometer pro Stunde: „Die Gäste sollen die Fahrt ja auch bei Kaffee und Kuchen oder geräucherter Saale-Forelle genießen“, meint er und steuert durch glasklares Wasser in die nächste bis zum Ufer bewaldete Bucht. „Wie Norwejen“, meint ein Berliner Gast staunend und beschließt, seinen nächsten Urlaub auf einem der Campingplätze mit naturbelassenem Uferstrand zu verbringen und seinem Wassersport-Hobby Kajakfahren und dem Wandern nachzugehen. Seinen Norwegen-Traum kann er hier erfüllen. Auch beim Angeln von kapitalen Amur-Karpfen. Barben, heute eher selten, zieren das Stadtwappen von Saalfeld.
Zwischen dem dichten Wald leuchten dottergelbe Rapsflächen mit der Sonne um die Wette. Auf den Lichtungen des Naturparks, der das „Meer“ umschließt, stößt man hin und wieder auf das Wappentier der Gegend, den Feuersalamander.
Joachim Krauße ist froh, dass er nicht mehr mit Ölzeug und Gummischürze im See fischen muss. Sein Handwerk hat der Thüringer einst bei der Hochseefischerei in Rostock gelernt, aber dann doch die liebliche Heimat im „grünen Herzen Deutschlands“ der Ostsee und dem rauen Nordatlantik vorgezogen. „Seegang gibt´s hier nur bei Starkwinden aus bestimmten Richtungen“, schmunzelt der Fahrensmann auf eine entsprechende Gast-Frage bei der Fahrt über das spiegelglatte Gewässer.
Warum in die Ferne schweifen
Es ging ihm genauso wie Michael Brakutt, der als Stadtführer in der malerischen Tracht eines „Patriziers“ Führungen durch seinen Geburtsort, die „Steinerne Chronik Thüringens“ über die Stadtinformation anbietet.
Der Maschinenbauer im Ruhestand denkt an seine Zeit bei der Volksmarine zurück: „Auf dem Stralsunder Dänholm wurden wir geschliffen, bis uns das Wasser im A… kochte. Das war kein Zuckerschlecken!“ In Sassnitz schließlich konnte Brakutt als Kraftfahrer eines Tanklastzuges zur Versorgung der grauen Flotte eine ruhigere Kugel schieben. Auch ihn zog es zurück in die altehrwürdige Geburtsstadt, die als „Salauelda“ vor rund 900 Jahren gegründet wurde und an der alten Handelsstraße Nürnberg – Leipzig liegt.
„Diese Geschichte, das historische Stadtbild und die Feengrotten, die ‚farbenreichsten Schaugrotten der Welt‘, den Gästen nahezubringen“, sagt der Ex-Obermatrose aus tiefer Überzeugung, „das ist mir heute ein großes Anliegen“.
Wobei er auch nicht vergisst, auf das „grüne Herz“ hinzuweisen, das sich dem Besucher auf dem Rennsteig oder während einer Fahrt mit der Oberweißbacher Berg- und Schwarzatalbahn erschließt.
Schiffsführer Joachim Krauße verabschiedet sich mit Handschlag und gibt einem den Tipp mit auf den 426 Kilometer langen Heimweg an die Ostsee: „Warum an die See fahren, wenn man das ‚Thüringer Meer‘ vor der Haustür hat“?
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