Von Deutschland mit der Fähre bis (fast) direkt nach Stockholm fahren? Das war über 20 Jahre lang unmöglich. Zu günstig sind die kürzeren Routen nach Südschweden, zu aufwändig und teuer ist die Nachtfahrt in die schwedische Hauptstadt. Im Sommer 2021 wurde die Linie jedoch wiederbelebt.
Da die Verbindung von Rostock nach Nynäshamn (bei Stockholm) helfen soll, Verkehr von der Straße aufs Meer zu verlagern, unterstützt der schwedische Staat die Initiative der Rederi AB Gotland. Dreimal wöchentlich verkehrt die “Drotten” zwischen der Warnow-Mündung und Nynäshamn, wo auch die Fähren derselben Reederei zur Insel Gotland ablegen.
Wir machen uns an einem trüben Novembermorgen auf den Weg nach Rostock. Das Wetter ist garstig: Es regnet in Strömen, und die Wetter-App registriert 39 km/h Wind – Windstärke 6. Einchecken kann man schon am Nachmittag, das Boarding für die 19 Uhr-Abfahrt beginnt jedoch erst um 18 Uhr. Draußen wird es zeitig dunkel, und auch der Regen hört nicht auf; November halt. Um 17:30 Uhr hat die Reederei ein Einsehen und geleitet uns 8 – 9 Fußpassagiere im Gänsemarsch zum Schiff.
Eine richtige Nachtfähre ist die “Drotten” nicht. 2019 ist sie auf der Linie Nynäshamn – Visby von einem Neubau abgelöst worden. Die Fahrt auf dieser Linie hatte drei bis vier Stunden gedauert, entsprechend ist das Bordangebot: vorne und achtern jeweils ein riesiger Salon mit Ruhesesseln, dazwischen ein kleines Büffetrestaurant, ein Shop und eine Snack Bar. Die 115 Kabinen, welche die Reederei anno 2003 hatte einbauen lassen, kamen bisher kaum zu Tragen. Das änderte sich erst 2021 mit der Eröffnung der Rostock-Route.
Kabine 8156 ist groß und gemütlich, wenn auch nicht luxuriös. Sie ist mit einem Fernseher und einem Telefon ausgestattet, das Fenster blickt aufs Promenadendeck, und die helle Holzoptik ist typisch schwedisch. Sie passt auch hervorragend zur Cafeteria ein Deck tiefer, die ebenfalls in vollendetem IKEA-Design daherkommt.
Kapitän Pontus Jönsson will unterdessen keine Zeit verlieren und lässt bereits um 18:30 Uhr die Leinen los machen. Zur selben Zeit wendet er sich mit einer Durchsage über die öffentlichen Lautsprecher an die Passagiere und informiert diese über die bevorstehende Überfahrt.
Wir treffen uns derweil mit Matthias Westborg, den Chief Purser der “Drotten”. Er berichtet von den Plänen der Reederei. So wolle man beim nächsten Umbau mehr Vierbettkabinen schaffen, um attraktiver für Familien zu werden. Trotzdem muss sich das neue Produkt erst noch herumsprechen. Heute sind 62 Passagiere an Bord, dazu 6 LKW und Trailer. Nicht viel, aber ein Jahr hat die Rederi AB Gotland Zeit, das Geschäft wie geplant aufzubauen. So lange fließen die Subventionen.
Wenn man sich dagegen mit den (wenigen) deutschen Passagieren unterhält, bekommt man den Eindruck, als hätte das Reisevolk die neue Route regelrecht herbeigesehnt. Sie sei „das Beste, was uns passieren konnte“, erklärt nicht nur ein Camper-Pärchen, welches das Wohnmobil bisher tatsächlich immer durch halb Schweden fahren musste, ehe es am Ziel ankam. Für Passagiere wie diese ist die neue Verbindung ein Segen.
Ein besonderes, weil seltenes Ereignis auf einer Fähre ist ein Gang ins Bordkino. Auf der “Drotten” hat man einen Konferenzraum dazu umfunktioniert, und ich kaufe an der Rezeption ein Ticket für die 21 Uhr-Vorstellung. Gezeigt wird „Jungle Cruise“ mit Dwayne Johnson und Emily Blunt. Außer mir haben sich noch zwei weitere Passagiere eingefunden, ein Vater mit seinem Sohn. Als die Handlung Fahrt aufnimmt, pfeift der Wind durch die Notausgangstür zum Außendeck, und das Schiff schaukelt noch immer gehörig, was das Kino-Erlebnis unverwechselbar macht.
Anschließend investiere ich einige Kronen in ein Carlsberg Export in der neuen Hansa Bar. Und wie das Kino habe ich auch diese Lokalität am Abend fast für mich allein. Zwei LKW-Fahrer sitzen an der Bar, ansonsten gleicht die “Drotten” um diese Uhrzeit einem Geisterschiff. Die Vibrationen des Schiffes und die Geräuschkulisse sind so weit achtern allerdings beträchtlich. Auch Kabine 8156 knarrt, ächzt und quietscht, was das Zeug hält. Wem dies nichts ausmacht, der lässt sich buchstäblich in den Schlaf schaukeln.
Der vielleicht schönste Aspekt der Fahrt von Rostock nach Nynäshamn: Man wird nicht wie auf den Fähren nach Trelleborg und Ystad in aller Herrgottsfrühe aus der Kabine geklingelt, sondern kann den Tag entspannt angehen. Allerdings sind die Brötchen beim Frühstück nur leidlich frisch. Der Saft kommt aus dem Mini-Tetrapack und auch der Tee nur aus dem Pappbecher. Doch die “Drotten” ist ja auch nicht die „Queen Mary 2“.
Bei einem Bordrundgang am Vormittag setzt sich der Eindruck eines Geisterschiffes fort. Im vorderen Salon herrscht buchstäblich gähnende Leere. Endlose Reihen von Flugzeugsesseln warten hier auf Passagiere. Interessanter ist da schon die Wand zum vorderen Treppenhaus, die mit einer veritablen „Ahnengalerie“ dekoriert ist – Schwarzweißfotos sämtlicher ehemaliger Gotland-Fähren und –dampfer aus über 150 Jahren.
Etwa mittschiffs gleich hinter der zentralen Cafeteria befindet sich der kleine Bord-Shop, wo es u. a. ein schönes Regal mit regionalen Spezialitäten von der Insel Gotland gibt. Im hinteren Ruhesessel-Raum schließlich bietet sich das gleiche Bild wie vorne: Flugzeugsitze, die bestenfalls sporadisch belegt sind. Hier schließt sich allerdings die schöne neue Hansa Lounge an.
Als sich die “Drotten” gegen Mittag dem schwedischen Festland nähert, bricht endlich die Sonne durch die Wolken. Ein unwirklicher silberner Schleier legt sich über die Ostsee, als sich die Herbstsonne Geltung verschafft. Auch ein Großteil der 62 Passagiere versammelt sich für das letzte Teilstück der Fahrt auf den Außendecks, um die Einfahrt der “Drotten” in den Hafen von Nynäshamn zu beobachten.
Pünktlich um 13:30 Uhr legt das Schiff schließlich in dem schwedischen Hafen an. Ihre Passagiere sitzen kurze Zeit später bereits in Auto, Wohnmobil oder im Vorortzug nach Stockholm und freuen sich, gegenüber der Wegstrecke ab Trelleborg oder Ystad schlappe 600 Kilometer gespart zu haben. Und nicht nur das. Sie sind entspannt und ausgeschlafen angekommen, haben sich an Bord ausgiebig stärken können und die Ankunft in Schweden bei frischer Seeluft und dem Blick auf Schären und Wälder genossen. Was will man mehr?
Dieses ist ein redaktionell erstellter Artikel, der durch externe Unterstützung möglich gemacht wurde. Die Unterstützung hat jedoch keinen Einfluss auf den hier abgebildeten Inhalt. Es gilt der Redaktionskodex.