Schauplatz Hamburger Hafen. Die Umgebung des Kreuzfahrtterminals Steinwerder ist nicht gerade ein touristisches Highlight. Baustelle reiht sich an Baustelle, Kräne, Rohre und Container prägen die wenig ansehnliche Szenerie, durch die pausenlos Lastzüge donnern. Mittendrin ein Ehepaar mit Kleinkind. Völlig fehl am Platz, wie es scheint. Doch sie steuern offenbar ein Ziel an. Wo sie denn hin möchten? „Nu, zu unserm Schiff“, vernimmt man breitestes Sächsisch.
Das 300 Meter lange Teil überragt alles. Beim Näherkommen dann der Ausruf: „Da isse doch, unsere Perla!“ Gemeint ist das Kreuzfahrtschiff „Aidaperla“, das zusammen mit ihrer Halbschwester „Aidablu“ an der Pier liegt und auf coronafreíe Zeiten wartet. „Mir wollt’n se nur mal sähn“, sagen die Chemnitzer und zücken ihr Handy für ein Foto, „eijentlich sollt’n wa da mitforrn, aber is ja nu nischt jeworn“.
Ein bisschen Nord- und Ostsee
Geduckt hinter ihrem 17 Decks hohen Heck ein ganz anderes Schiff, das für den Riesen ein Beiboot sein könnte: die nur 82 Meter lange und zwei Decks hohe „Sans Souci“. „Aber wir fahren“, strahlt Peter Grunewald, Kapitän und Eigner des Flusskreuzfahrt-Flaggschiffes von der Saale, „wir müssen endlich Geld verdienen, denn die 20.000 Euro Soforthilfe waren ja nicht mal’n Tropfen auf den heißen Stein“.
Nach drei gescheiterten Versuchen hat er am 17. Juni in Berlin das Signal zum Aufbruch gegeben zur ersten norddeutschen Kreuzfahrt unter Corona-Bedingungen. Statt wie normalerweise 80 Passagiere sind bei der Saison-Premiere nur 48 Gäste an Bord. „Wir haben uns nicht abschrecken lassen“, geben sie bei der Temperaturmessung am Spandauer Kreuzfahrtanleger unumwunden zu, „und wollten nicht weiter untätig zu Hause rumzusitzen“. Darunter einige, die eigentlich eine Hochseekreuzfahrt gebucht hatten: „Ein bisschen über Nord- und Ostsee fahren wir ja jetzt auch“, trösten sie sich, „und wir freuen uns auf eine Rundfahrt quer durch Norddeutschland, wie man sie sonst kaum geboten bekommt“.
Neuem gegenüber aufgeschlossen
Von Berlin geht es die Havel abwärts, weiter über den Mittelland- und Elbe-Seitenkanal, die Elbe und den Nord-Ostsee-Kanal bis nach Kiel, zurück statt Kanal die idyllische Havel komplett ab Havelberg. „Vom Wasser aus hat man doch ganz andere Ein- und Ausblicke“, sagen sie, „als wenn man da mit dem Auto vorbeibrettert“. Die Gäste sind entweder schon begeisterte Flusskreuzfahrer oder absolute Neulinge, „die mal sehen wollen, wie das so ist, im Schneckentempo dahinzugleiten“. Die „alten Hasen“ schwärmen von der entschleunigenden Langsamkeit und der seegangsfreien Fahrt, die nur am Tage stattfindet.
Wobei auch genügend Zeit für Landgänge, begleitet vom bordeigenen Bus, in den verschiedenen Städten bleibt wie Potsdam, Brandenburg, Magdeburg, Wolfsburg, Lüneburg, Hamburg, Rendsburg, Kiel, Havelberg, Rathenow. „Eine bunte, sehr attraktive Mischung allemal, die viele Gäste inspiriert hat zu buchen“, resümiert die niederländische Kreuzfahrtleiterin Coleta de Laat.
„Zu vergessen nicht der Nord-Ostsee-Kanal, den wir immer mal durchfahren wollten“, nennen einige als Hauptmotiv ihrer Reise. Ein Arzt oder Krankenhaus sei ja auch immer in der Nähe, falls etwas passieren sollte. Denn die Klientel ist nicht mehr ganz so jung und beweglich wie das Aida-Publikum, aber trotz Risikogruppe doch noch sehr interessiert und allem Neuem aufgeschlossen gegenüber.
Kapitän Peter Grunewald, sein auf Hochglanz gepflegtes Schiff und die 24-köpfige Crew sind bestens motiviert, ausgerüstet und trainiert für einen reibungslosen Ablauf dieser Fahrt, die noch von vielen Seiten argwöhnisch beäugt wird. Zu Unrecht, denn alle Vorschriften werden penibel eingehalten: Temperaturmessung vor der Abfahrt, Maskenzwang für alle in den inneren öffentlichen Bereichen, Abstandhalten, kein Büffet, Desinfektionspunkte.
Das alles wird in Hamburg offiziell von Vertretern der Hafen- und Gesundheitsbehörde gecheckt. Es gibt keinerlei Beanstandungen am schiffseigenen Hygiene-Konzept, dafür Lob. „Insofern“, meint Grunewald selbstbewusst, „haben wir auch so was wie eine Vorreiter- oder Vorbildfunktion für die großen Schiffe übernommen“. „Abstand“ wird erwartungsgemäß zum Wort der Reise erkoren.
Kapitäns Lieblingsrevier
„Für uns“, so die aus Stralsund stammende Hoteldirektorin Cathrin Fuhrmann, „bedeutet Corona jede Menge Mehrarbeit für das Servicepersonal, vor allem in Bezug auf die verschärften Hygienemaßnahmen“.
Die Nautik-Crew stöhnt unter der Maske, die sie bei Decksarbeiten zum Schwitzen bringt, abgesehen von Atembeschwerden, beschlagenen Brillen und Kommunikationsproblemen. Aber sie sind tapfere Vorbilder, einschließlich Kapitän. „Denn“, so weiß er genau, „ein Infektionsfall an Bord wäre das Aus für weitere Reisen oder gar mein Unternehmen“.
Alle sind jedoch zuversichtlich, dass sich das Blatt auch wieder wenden wird. Das sieht auch Dr. Rosemarie Wilcken so. Die Ex-Oberbürgermeisterin von Wismar ist mit ihrem Mann dabei und genießt sichtlich die beschauliche Reise. Sie habe sich schon immer für den Kreuzfahrttourismus in ihrer Stadt stark gemacht, sagt sie und verweist auf entsprechende Investitionen für die Hafen-Infrastruktur.
Jetzt wollen die beiden Ruheständler nur Landschaft, Sonne, Kultur und Natur genießen. Das gibt’s alles satt und gratis an den Ufern. Die bei allen beliebte Küche von Chef Christian Friese setzt zwei- bis dreimal pro Tag noch eins drauf.
In den Unterwegshäfen wird der Corona-Erstanlauf von der Presse gebührend gewürdigt, ob in Rendsburg, Hamburg oder Kiel. Kapitän Peter Grunewald aus Mukrena denkt schon weiter, denn er muss sich um die Vorbereitungen für die nächste Reise kümmern.
Die führt von Berlin-Tegel nach Stettin, Usedom, Rügen, Stralsund, Zingst, Hiddensee und Bug. Anschließend steuert er mit MS „Sans Souci“ den wildromantischen „Amazonas des Nordens“ an, wie die Peene, mit 150 Kilometern längster Fluss Mecklenburg-Vorpommerns, genannt wird. „Für mich ist das Küstenland am reizvollsten“, meint der erfahrene Kapitän, der bis zum Herbst noch einige Male in sein Lieblingsrevier vorstoßen wird.
Infos:
MS SANS SOUCI: Baujahr 2000 in Nijmwegen/Niederlande; 2007/08 modernisiert; Länge: 82 m; Breite: 9,50 m; Tiefgang: 1,30 m; Vermessung: 1000 Tonnen; Antrieb: 2 x 600 PS; 41 Kabinen (davon 24 mit franz. Balkon); Passagiere (max.): 80; Crew: 24; Lift zwischen Haupt- und Panoramadeck; 1 Restaurant (1 Essenszeit); 1 großes Sonnendeck; Salon, Bar, Bibliothek, Boutique; Heimathafen: Peissen/Saale; Flagge: deutsch.
Dieses ist ein redaktionell erstellter Artikel, der durch externe Unterstützung möglich gemacht wurde. Die Unterstützung hat jedoch keinen Einfluss auf den hier abgebildeten Inhalt. Es gilt der Redaktionskodex.