Es gibt mehrere Gründe, warum es sinnvoll sein kann, einen fachlich versierten Anwalt aufzusuchen, wenn eine Fluggesellschaft keine Entschädigung gemäß der Fluggastrechteverordnung zahlt. Auch die Redaktionskollegen sind immer wieder von Flugausfällen bzw. Flugverspätungen betroffen. Einige Airlines reagieren gar nicht auf die Aufforderung der zustehenden Entschädigung, andere Fluggesellschaften üben sich in Hinhaltetechniken. Hier kommt es immer wieder zu belanglosen und immer wiederkehrenden Fragen, um den Fluggast mürbe zu machen. Auch wenn eine Airline die Entschädigung schriftlich zugesagt hat, muss das nicht heißen, dass eine Zahlung zwangsläufig erfolgt.
Insgesamt sollten Fluggäste grundsätzlich ihre Rechte kennen; Wann und unter welchen Bedingungen es eine Entschädigung geben kann. Um hier ein wenig Aufklärung zu leisten, haben wir einen Rechtsanwalt befragt, der täglich für die Rechte von Fluggästen kämpft. Rechtsanwalt Markus Tischler von der Hamburger Kanzlei Diekmann hier im Interview:
Andreas Conrad: Können Sie uns erklären, welche Entschädigungen Passagiere bei Flugverzögerungen gemäß der EU-Fluggastrechteverordnung erwarten können?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Es gibt im Wesentlichen drei verschiedene Anspruchsgruppen:
- Ausgleichszahlungen
- Ansprüche auf Ticketkostenerstattung oder Ersatzbeförderung
- Ansprüche auf Verpflegung und ggf. Hotelunterkunft während der Wartezeit
Wird ein Flug annulliert, hat der Fluggast die Wahl, ob er die Ticketkosten erstattet bekommen möchte, oder ob er eine Ersatzbeförderung erhalten möchte. Die Fluggesellschaft muss deshalb schon mit der Annullierungsmitteilung ein Angebot zur schnellstmöglichen Ersatzbeförderung unterbreiten.
Strandet der Fluggast an einem Ort (z.B. wegen Verspätung eines Zubringerflugs und Verpassen des Anschlusses), besteht ein Anspruch auf Verpflegung sowie, wenn die Weiterreise erst am nächsten Tag möglich ist, ein Anspruch auf Hotelunterkunft.
Andreas Conrad: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit Passagiere Anspruch auf Ausgleichszahlungen aufgrund einer Flugverspätung haben?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Es gibt drei verschiedene Sachverhalte, die Ansprüche auf Ausgleichszahlungen entstehen lassen können:
- Der Flug wird annulliert
- Der Flug landet mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden
- Dem Fluggast wird grundlos die Beförderung verweigert (weil der Flug überbucht ist)
Im Falle einer Verspätung ist Voraussetzung ferner, dass der Fluggast zur Abfertigung (also am Flughafen) erscheint. Die Details sind hier sehr umstritten, sodass in solchen Fällen eine genaue Prüfung des Einzelfalls notwendig ist.
Andreas Conrad: Wie unterscheiden sich die Entschädigungsbeträge je nach Dauer der Flugverspätung gemäß der EU-Fluggastrechteverordnung?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Die Höhe des Anspruchs auf Ausgleichszahlung ist abhängig von der Entfernung zwischen Startpunkt und Zielort. Je weiter entfernt diese voneinander sind, desto höher ist der Anspruch. Es gibt hierfür kostenlose Rechner im Internet. Es existieren drei Stufen:
- a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
- b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
- 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Die Dauer des Fluges ist daher nicht erheblich, sondern lediglich die Entfernung. Hierbei ist ausschließlich die Entfernung zwischen Start- und Zielpunkt relevant. Zwischenstopps sind für die Berechnung nicht erheblich.
Andreas Conrad: Welche Schritte sollten Passagiere unternehmen, um ihre Rechte erfolgreich geltend zu machen, wenn ihre Flüge von Streiks betroffen sind?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Sobald es zu einer Unregelmäßigkeit im o.g. Sinne kommt, sollten Passagiere sich dies entweder schriftlich bestätigen lassen oder z.B. Fotos von der Anzeigetafel (auf der die Annullierung oder Verspätung angezeigt wird) fertigen. Im Falle eines Streiks kommt es sehr entscheidend darauf an, wer streikt. Fluggesellschaften können interne Streiks eigener Mitarbeiter beeinflussen, nicht aber ein Streik z.B. des Sicherheitspersonals oder der Fluglotsen. Soweit möglich, sollte also direkt vor Ort in Erfahrung gebracht werden (sofern nicht ohnehin bereits in den Medien erwähnt), um welche Art Streik es sich handelt.
Andreas Conrad: In welchen Fällen können Fluggesellschaften Ausnahmen von der Ausgleichszahlungspflicht geltend machen, und wie können Passagiere darauf reagieren?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Handelt es sich um eine Annullierung oder Verspätung, besteht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung dann nicht, wenn die Unregelmäßigkeit auf sog. außergewöhnlichen Umständen beruht. Die Einzelheiten sind hier sehr stark umstritten. Beweisen muss das die Fluggesellschaft. Die Fluggesellschaft ist zudem auf Aufforderung verpflichtet, sich zu den Einzelheiten dieses Umstands zu erklären. Erfahrungsgemäß erfolgt eine solche Erklärung häufig nicht, sodass eine Klage dann alternativlos ist.
Ob und inwieweit solche Umstände tatsächlich im konkreten Fall den Anspruch auf Ausgleichszahlung ausschließen ist letztlich abhängig vom Einzelfall. Eine allgemeingültige Aussage, wie vorzugehen ist, kann daher nicht getroffen werden.
Andreas Conrad: Gibt es spezifische Dokumente oder Beweise, die Passagiere sammeln sollten, um ihren Anspruch auf Entschädigung bei Flugverspätungen zu unterstützen?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Passagiere müssen in jedem Fall die Buchungsbestätigung aufbewahren. Daraus ergibt sich, welche Fluggesellschaft den Flug durchgeführt hat. Bei Umsteigeverbindungen (ggf. sogar mit mehreren Zwischenstopps) können das mehrere verschiedene Fluggesellschaften sein. Die Ansprüche richten sich immer gegen das jeweils ausführende Luftfahrtunternehmen.
Im Falle einer grundlosen Nichtbeförderung können Fluggesellschaften sich direkt vor Ort schriftlich bestätigen lassen, dass ihnen grundlos die Beförderung verweigert wurde. Das ist ratsam, weil der Fluggast in solchen Fällen beweisen muss, dass er rechtzeitig am Gate erschienen ist.
Im Falle von Verspätungen und Annullierungen sollten vor Ort bestenfalls Fotos von den Anzeigetafeln gefertigt werden. Wenn bestimmte Aussagen zu den Gründen der Unregelmäßigkeit getroffen werden, ist es sinnvoll sich soweit möglich, den Namen des Mitarbeiters der Fluggesellschaft zu notieren.
Werden weitere Aufwendungen getätigt (z.B. Kauf von Verpflegung oder Organisation einer notwendigen Übernachtung, wenn die Fluggesellschaft dieser Pflicht nicht nachkommt), müssen unbedingt für sämtliche Aufwendungen Belege gesammelt werden. Ohne einen Beleg ist ein Nachweis solcher Kosten unmöglich.
Andreas Conrad: Wie können Passagiere feststellen, ob ihre Flugverspätung durch außergewöhnliche Umstände verursacht wurde, die von der Entschädigungspflicht ausgenommen sind?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Das ist tatsächlich in vielen Fällen unmöglich, weil die dafür notwendigen Informationen sich in vielen Fällen ausschließlich in der Sphäre der Fluggesellschaft befinden. Deshalb ist die Fluggesellschaft auch zu einer entsprechenden Auskunft verpflichtet.
Hintergrund ist, dass der europäische Gerichtshof entschieden hat, dass ein Anspruch auf Ausgleichszahlung auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich ein außergewöhnlicher Umstand auf einem Vorflug des betroffenen Flugzeugs am selben Tag ereignet hat und sich die Verspätung auf die weiteren Flüge überträgt. Mit einem Flugzeug werden (je nach Entfernung des einzelnen Strecken) bis zu 6 oder bei ausschließlichen Kurzstrecken sogar 8 Flüge an einem Tag durchgeführt. Dabei kann es sein, dass das Flugzeug zunächst z.B. von Berlin nach Barcelona und zurück und danach von Berlin z.B. nach Kreta und zurück fliegt. Der außergewöhnliche Umstand kann sich also z.B. in Barcelona ereignet haben. Davon kann der Fluggast, der von Kreta nach Berlin fliegen möchte, natürlich nichts wissen.
Auch diese Frage ist allerdings sehr stark vom Einzelfall abhängig, sodass im Zweifel eine anwaltliche Prüfung des Einzelfalls unerlässlich ist.
Andreas Conrad: Welche rechtlichen Schritte können Passagiere unternehmen, wenn Fluggesellschaften ihren Entschädigungsanspruch ablehnen?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Erfahrungsgemäß beantworten viele Fluggesellschaften außergerichtliche Schreiben auch von Anwälten in vielen Fällen nicht. Deshalb ist es dann notwendig, eine Klage einzureichen.
Andreas Conrad: Welche Rolle spielen Fluggasthelfer oder Anwaltskanzleien bei der Unterstützung von Passagieren, die Entschädigungen für Flugverspätungen einfordern?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Fluggastportale können z.B. Forderungen aufkaufen. Dann muss sich der Fluggast um die vorstehenden Probleme keine Gedanken mehr machen.
Fachlich versierte Anwaltskanzleien können die vorstehend genannte Einzelfallsprüfung vornehmen und insofern prüfen, ob eine ggf. notwendige Klage zweckmäßig ist. Hier sollten in jedem Fall Anwälte beauftragt werden, die dies schwerpunktmäßig behandeln, weil sehr viele Rechtsfragen auf sog. Rechtsfortbildungen des europäischen Gerichtshofs zu prüfen sind. Das bedeutet, dass der europäische Gerichtshof Lücken, die der Gesetzgeber im Gesetz hinterlassen hat, durch entsprechende Rechtsprechung geschlossen hat. Als Beispiel kann hier genannt werden, dass sich aus der Fluggastrechteverordnung nicht ergibt, wie Umsteigeverbindungen aus mehreren Teilflügen rechtlich einzuordnen sind. Diese Frage ist aber durch den Gerichtshof geklärt worden.
Andreas Conrad: Wie können Passagiere sich im Voraus auf potenzielle Flugverspätungen vorbereiten und welche Maßnahmen können sie ergreifen, um die Auswirkungen zu minimieren?
Rechtsanwalt Markus Tischler: Eine Vorbereitung ist leider nicht möglich. Das liegt daran, dass ein Anspruch auf Ausgleichszahlung ohnehin nur dann besteht, wenn der Fluggast erst weniger als 14 Tage vor dem planmäßigen Start über die fragliche Unregelmäßigkeit informiert wird. Dass ein Flug verspätet startet, ergibt sich zudem in den meisten Fällen erst am Tag des Abflugs selbst.
Passagiere können und müssen nichts unternehmen, um die Auswirkungen von Flugverspätungen zu minimieren. Diese Pflicht hat der Gesetzgeber mit der Fluggastrechteverordnung ausschließlich der Fluggesellschaft auferlegt.
Die Redaktion dankt Rechtsanwalt Markus Tischler von der Kanzlei Diekmann für die aufschlussreichen Antworten.
FrontRowSociety-Herausgeber Andreas Conrad führte das Interview mit Rechtsanwalt Markus Tischler im April 2024.
Weiterführende Informationen zur Kanzlei:
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Telefax: +49 (40) 33 44 36 99
Tipp der Redaktion: Mahnbrief-Generator
Der erste Schritt muss nicht immer gleich der Weg zu einem Anwalt sein, auch der Mahnbrief-Generator kann als Lösung in Frage kommen. Dieser analysiert nach Eingabe der Flugnummern und Daten die Distanz zwischen dem Abflug- und Ankunftsflughafen, um die Entschädigung zu berechnen. Die Adressdaten der Airline ist bereits hinterlegt und wird automatisch eingefügt. Dann nur noch absenden und auf die Entschädigung warten. Sollte die automatisch gesetzte Frist für die Zahlung seitens der Fluggesellschaft abgelaufen sein, erhält man eine Erinnerungs-E-Mail und kann den rechtlichen Weg beschreiten lassen, ganz ohne Stress und ohne eigene Arbeitszeit zu investieren.
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