Die tonhalleLATE in Zürich steht für ein einzigartiges Format, das klassische Musik mit elektronischen Klängen verschmelzen lässt und dabei neue Wege im Konzert-Erlebnis beschreitet. Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 begeistert die Eventreihe durch die besondere Mischung aus Philharmoniekonzert, kollaborativen Live-Performances und anschließender Club-Atmosphäre.
Verantwortlich für dieses innovative Konzept, das Klassikfans und Liebhaber elektronischer Livemusik zusammenführt, ist der künstlerische Leiter Pierre Bachmann. Wir haben ihn für ein Interview getroffen, um mehr über die Idee hinter der tonhalleLATE und die Herausforderung der Kombination dieser beiden Musikwelten zu erfahren.
Exklusives Interview mit Pierre Bachmann, künstlerischer Leiter des Kollaborationsteils der tonhalleLate Zürich
Carola Faber: Du bist verantwortlich für das Format tonhalleLATE in Zürich. Seit wann gibt es die tonhalleLATE und was genau ist darunter zu verstehen?
Pierre Bachmann: Nun, genauer gesagt bin ich verantwortlich für alles was nach dem klassischen Konzert passiert, und da gehört das namensgebende „classic meets electronic“ Kernstück des Abends dazu. Die tonhalleLATE wurde 2002 ins Leben gerufen durch den damaligen Chefdirigenten David Zinman, der unbedingt ein Format wollte, was für seinen Sohn attraktiv wäre. Der Name war schnell da: der Event beginnt viel später als ein normales Konzert. Und die pionierhafte Idee: Philharmoniker mit Musikern aus der elektronischen Musikszene zusammenzubringen, und nicht nur beide in ihrem eigenen Element, sondern auch im Zusammenspiel zu erleben. In dem Sinne ist der Event ein Abend in drei Akten: Klassisches Konzert, Kollaborations-Show, Clubbing.
Carola Faber: Mit rund 1200 Zuschauern ist die Veranstaltung fast immer ausverkauft. Was genau ist so besonders attraktiv an der tonhalle Late?
Pierre Bachmann: Wir sind einmalig! *lacht* Im Ernst, ich glaube unsere Gäste wissen, dass sie immer etwas ganz spezielles erleben werden, und spüren, dass viel Leidenschaft in dem Projekt steckt. Wir bemühen uns, für jeden Anlass eine eigene Geschichte zu entwickeln. So setzen wir uns jeweils mit den inhaltlichen und stilistischen Elementen der klassischen Werke auseinander (die vorher gespielt werden und für uns vorgegeben sind), und überlegen, welche wir aufgreifen wollen im Anschluss, und manchmal etwas re-interpretieren, oder weiterentwickeln. So konnten die Gäste an meiner ersten Show die Geschichte von Till Eulenspiegel einmal klassisch nach Strauss erleben, und einmal mit den durchgeknallten Elektronikern dOP aus Paris. Oder haben wir den Ausgang einer Rhapsodie, in der der Kosake Taras Bulba zuerst seine zwei Söhne und dann sein eigenes Leben verliert, so aufgegriffen, dass wir in Dämmerungsstimmung auf dem fast leblosen Schlachtfeld starteten, und zur Musik von Mathew Jonson in eine Nacht der Verzweiflung eingetaucht sind, mit Bildern aus Dante’s Inferno.
Für das neueste Konzept im Oktober trat erst das Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Filmmusikexperte Frank Strobel mit musikalischen und visuellen Auszügen aus Filmmusiken von Howard Shore, wie „Das Schweigen der Lämmer“, „The Aviator“, „Der Herr der Ringe“ oder „The Fly“ auf. Anschliessend ging es im Foyer mit Musiker*innen des Orchesters und dem Electronic Live Duo Kon Faber aus Berlin elektronisch weiter.
Carola Faber: Was genau wurde geboten?
Pierre Bachmann: Diese Show war etwas anspruchsvoll in der Konzeption, da wir als inhaltliche „Klammer“ des klassischen Teil einen Filmkomponisten hatten, der nicht für einen bestimmten Stil steht. Womit fahren wir also weiter? Schnell fiel mir auf, dass Howard Shore speziell zu Beginn seiner Karriere Regisseure begleitete, welche dramatische, ekelerregende bis surreale Filme mit ihm geschaffen hatten. Mich hat das sofort angezogen, aber können wir wirklich „Ekel“ ins Zentrum einer Show stellen? Nach anfänglichem Zögern bekam ich dann grünes Licht durch die Tonhalle. Und so haben wir unseren Gästen eine Show geboten, in der sie Ekel gleichzeitig abstossend und anziehend erlebt haben. „Finding Beauty in Conflicting Emotion“.
Carola Faber: Wie kann man sich die Veranstaltung vorstellen? Und wie lautete die Botschaft?
Pierre Bachmann: Eine Reise durch die Musikgeschichte, von ihren klassischen Wurzeln bis hin zur modernen Underground Clubbing Szene. Und eine Auseinandersetzung mit und Erleben von einem speziell kurierten Themas. Wenn wir irgendeine Botschaft transportieren (was wir nicht bewusst tun), dann hoffe ich, sie beinhaltet das Finden von Schönheit, Wertigkeit und Berührung in unterschiedlichen Musik- und Kunststilen.
Carola Faber: Wie viel Zeit beanspruchen die Vorbereitungen? Was war die größte Hürde? Der schönste Augenblick?
Pierre Bachmann: Wir brauchten wie fast immer drei Monate, wo wir in zwei Workstreams, Musik und Visuals, iterativ und gegenseitig inspirierend zusammenarbeiteten. Grösste Hürde war wohl die Überzeugung unterschiedlicher Beteiligten, dass das gut kommt 😊 Und am schönsten war definitiv zu erleben, wie wir ein kollektives Erlebnis geschaffen hatten, d.h. die Gäste haben die Show nicht individuell, sondern gemeinsam er- und durchlebt. Es ging immer wieder ein Raunen, Erzücken oder Erschaudern durch die Runde,
Carola Faber: Wie erlebst Du das Publikum, wenn es vom Konzert im großen Saal in das Foyer wechselt?
Pierre Bachmann: Gute Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Zum einen die klassische Musik noch nachklingend lassend und froh, sich bewegen, zu plaudern, sich etwas trinken holen zu können. Sprich: sie brauchen eine Pause. Zum anderen aber auch neugierig, was nun kommt, und viele eben nicht zur Bar gehend, sondern gebannt und wartend auf Richtung unserer Bühne und Leinwand blickend. Wir haben uns häufig gefragt, wie lange wir warten, bis wir mit der Show beginnen, damit die Leute wieder „ready“ sind, sich zu fokussieren. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass wenn wir zu lange warten, einige beginnen zu gehen (es ist ja auch schon spät). Und unsere Lösung ist, die Musik und Bilder so zu gestalten, dass man von Anfang an nichts verpassen will.
Carola Faber: Dein persönliches Feedback zu dem Abend? Die Resonanz der Besucher?
Pierre Bachmann: Eine der Shows, auf die ich am stolzesten war. Wir waren echt mutig, und wir haben echt Kunst geschaffen. Einziger Wehmutstropfen war, dass wir Mühe mit dem Sound Set-up hatten, und wir im Mix mit den klassischen Musikern nicht so laut gehen konnten, dass die Musik in ihrer ganzen Schönheit durchkam. Die Resonanz der Besucher war mehrheitlich begeistert, selbst die, welche immer wieder einmal von der Leinwand wegschauen mussten. Sie haben etwas Spezielles erlebt, und es dafür wertgeschätzt. Allerdings hatten wir tatsächlich zum ersten Mal auch Beschwerde-Emails im Nachgang….
Carola Faber: Was schätzt Du an der Musik von KonFaber?
Pierre Bachmann: Sie haben in ihrer Instrumentalisierung und Klangfarbe eine sehr coole Mischung aus Elektro, Synth-Pop und Techno-Elementen, welche manchmal melodisch-sphärisch daherkommt, manchmal knackig 80er-artig. Manchmal ambient-artig beruhigend, aber mehrheitlich rockig Energie-transportierend. Sie grenzen sich für mich auch klar ab von dem aktuellen Überfluss von progressivem Elektro (flächig, wavig) und haben eine eigene Linie gefunden, und entsprechen trotzdem dem Zeitgeist. Aber am meisten schätze ich wohl, dass sie immer wieder Motive finden, dich ich musikalisch nicht nur spannend, sondern auch einfach schön finde.
Carola Faber: Wie kamen die Videoprojektionen an?
Pierre Bachmann: Grossartig faszinierend und ekelerregend. Was vom nachklingendsten, was wir je geboten haben, und wirklich „schön“ in der Gesamtwirkung.
Carola Faber: Würde das Publikum, das nach dem Konzert das zweite Konzert erlebte, ansonsten auch in einen Club geben?
Pierre Bachmann: Ist die Frage ob das Publikum aus Clubbesuchern besteht? Falls ja, sicher ein grosser Teil davon. An dem Abend selbst ziehen aber die wenigsten weiter, da es ein langer, intensiver Anlass ist.
Carola Faber: Wäre so ein Konzept projizierbar in andere Weltstädte, wie Berlin, New York…?
Pierre Bachmann: Projizierbar oder re-produzierbar? 😀 Auf jeden Fall. Wir sind überzeugt davon, dass wir immer Shows kreiieren, die viele Menschen bewegen und berühren würden, und das wir Einzigartiges schaffen, das state-of-the-art ist.
Carola Faber: Was steht als nächstes an?
Pierre Bachmann: Nach meiner ersten Auseinandersetzung mit den klassischen Werken habe ich den Impuls, was zu „Staunen“ zu machen, als Quelle von Inspiration und Glück.
FrontRowSociety Autoron Carola Faber führte das Interview mit Pierre Bachmann im Oktober 2024.