Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Mecklenburg-Vorpommern – Land am Wasser: mittendrin und zur Hälfte drumherum.
Inzwischen weiß das jedes Kind zwischen Haff und Elbe, Ostsee und Müritz. Per Kajak zum
Beispiel lassen sich preiswert, nerven- und umweltschonend nutzen: sage und schreibe 340
Kilometer Ostsee-Außenküste, 1.130 Kilometer Bodden- und Haffküste, 60 Inseln, 2.013
Seen und 26.000 Kilometer Fließgewässer. Da ist für jeden Geschmack alles drin. Karl-Heinz Müller, waschechter Stralsunder und immer hilfsbereiter Heilgeistkloster-Nachbar, kratzt sich den Kopf: „Soll ich dich hier durchlassen?“ Breitbeinig, die Hände in die Seiten gestemmt, steht er am Stralsunder Querkanal und schaut von oben herab aufs Wasser. Nach Feierabend bedient der Hobbyskipper die in holländischem Stil gehaltene Zugbrücke.

Seekajak PERO auslaufend Stralsunder Nordhafen mit Winkgruß zum Brückenwaerter
Seekajak PERO auslaufend Stralsunder Nordhafen mit Winkgruß zum Brückenwaerter / © FrontRowSociety.net, Foto: Eckhard Fraede

Vom Winde verweht

Seekajak „PERO“ braucht diesen Service nicht. Er und sein Kapitän passen mühelos unter der Brücke hindurch. Nur wenn Nordostwind den Sund aufraut, steigt der Pegel und nimmt die Kopffreiheit ab. Dann tänzelt das 27-Kilo-Seekajak in der kabbeligen Ausfahrt zwischen den Hafenmauern. Von „Seh-Leuten“ skeptisch beäugt. „Ist das nicht zu wackelig?“, hört man hinter sich her rufen, bis man den Nordhafen unterm Kiel hat und weitere Kommentare vom Winde verweht werden. Rechts schmatzen und gluckern die Wellen an den Flanken der Frachter, die ungerührt Getreide, Schrott und Gips laden. Daneben kommt sich der Kanute dann allerdings doch reichlich winzig vor.

Der 6000-Tonnen-Frachter MS NORDVIND lädt Gips aus der Rauchgaswaesche für Norwegen
Der 6000-Tonnen-Frachter MS NORDVIND lädt Gips aus der Rauchgaswaesche für Norwegen / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther

Glänzende Stille

Die Signale der Ziegelgrabenbrücke zeigen rot. Das kratzt den Kajak-Kapitän nicht. Hindurch also! Schreck von oben, als der DB-„Flirt“-Express nach Saßnitz über die Gleise rattert. Kurswechsel zur Insel Dänholm. Gerade hat das Mehrzweckschiff „Arkona“ zum
wöchentlichen Besatzungswechsel gegenüber vom Nautineum festgemacht. Auch hier ein
kurzer Gruß nach oben: Man kennt und respektiert sich. Schließlich hat „PERO“ schon
Spitzbergen- und Grönland-Erfahrung auf dem Buckel. Nur Rostklopfen muss man auf dem
4,90 Meter langen Kunststoff-Kreuzer nicht, denn die Farbe hält ein Kajak-Leben lang.
Der Dänholm-Kanal glänzt durch Stille. Ein paar Fischer lassen ihre Netze nach nächtlichem
Heringsfang in der Morgensonne trocknen. Voraus jetzt das Rügendamm-Fahrwasser.
Gedenksekunde vor dem Spülfeld der Halbinsel Drigge im Südwesten Rügens: Am 30. April
1945 wurde hier das jetzige Museums-Segelschulschiff „Gorch Fock“ (I) auf 13 Meter
Wassertiefe versenkt.

Die Kajaknase zeigt auf die historische GORCH FOCK von 1933 im windstillen Nordhafen
Die Kajaknase zeigt auf die historische GORCH FOCK von 1933 im windstillen Nordhafen / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther

Amazonas-Gefühle

Aus dem Uferwald weht der Wind Vogelstimmen herüber. Sie locken wie Sirenen an Land.
Von Eis und Wellen rundgeschliffene Granitsteine blockieren den Kurs. Slalomfahrt ist
angesagt, bis die Paddelblätter sich in den Sand bohren. Bei knapp zehn Zentimetern Wasser unterm Kiel knirscht es: gelandet! Das macht dem Kajak so leicht kein anderer Bootstyp nach: einsame, kaum zugängliche Uferzonen und Strände an den flachen Sund- und Boddenküsten anzusteuern.

Karibik-Idylle im Baggerloch der Rügenschen Halbinsel Drigge
Karibik-Idylle im Baggerloch der Rügenschen Halbinsel Drigge / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther
Von den Wegen an der Küste Südrügens schaut man immer wieder auf die traumhafte Sundboddenlandschaft
Von den Wegen an der Küste Südrügens schaut man immer wieder auf die traumhafte Sundboddenlandschaft / ©
FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther

Angespültes Strandgut gibt Fragen nach dem Woher auf: ein halber blankgescheuerter
Bootsmast, Fischkisten, Tauwerk. Wie unberührt dagegen der „Urwald“ am westlichen Saum der Halbinsel Drigge. Der Eindringling muss durch mannshohes Unterholz staken, das umgestürzte Bäume noch undurchdringlicher machen.

Zwei alte Segelkutter duempeln in einer verschwiegenen Bucht vor sich hin und warten auf bessere Zeiten
Zwei alte Segelkutter duempeln in einer verschwiegenen Bucht vor sich hin und warten auf bessere Zeiten / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther
Der luxurioese Kreuzfahrtschiffneubau CRYSTAL ENDEAVOR wartet an der MV Werft auf seine Fertigstellung
Der luxuriöse Kreuzfahrtschiffneubau CRYSTAL ENDEAVOR wartet an der MV Werft auf seine Fertigstellung / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther

Robinson am Sund

Vom Rand des Kliffs schweift der Blick hinüber zum gotischen Turmfiligran der Hansestadt.
Nur die himmelblaue Schiffbauhalle der Volkswerft und ihre gelben Spielzeugkräne scheinen es zentimeterknapp zu überragen.

Blick von der Halbinsel Drigge auf Rügen hinüber zur Insel Dänholm mit Stralsunder MV Werft
Blick von der Halbinsel Drigge auf Rügen hinüber zur Insel Dänholm mit Stralsunder MV Werft / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther
Zum Beinevertreten nach langer Kajakfahrt bieten sich immer wieder verträumte Uferwege an
Zum Beinevertreten nach langer Kajakfahrt bieten sich immer wieder verträumte Uferwege an / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther

Vor Steinort, dem Südkap von Drigge, klatschen grüne Sundwellen rhythmisch auf den
Strand. Der Wind greift ins Schilfrohr, dass es nur so rauscht, geheimnisvoll wispert und
knistert. Vogelgezwitscher schmettert aus den blühenden Büschen. Hier lässt es sich nach
einer guten Stunde und rund sechs Kilometern Körpereinsatz trefflich pausieren: Picknick mit Klappstulle und doppeltem Appetit. Auch ein Mittagsschläfchen kann man sich gönnen oder, bei entsprechenden Temperaturen, baden gehen: FKK natürlich. Der Kajak-Robinson vom Sund lässt grüßen.

Nach rund zwölf Kilometern ist Feierabend: im Langenkanal am „PERO“- Liegeplatz auf der Bootswerft von Jürgen Thomzik. Ein Tag voller Alltagsabenteuer und in fast absoluter coronabedingter Stille geht zur Neige – mit nassem Hintern und Salzmustern auf der Haut. Die beste Prophylaxe und Immunisierung gegen das Virus, das so recht keine frische Luft mag.

Ansteuerung der beiden Rügenbrücken mit Frachterkulisse von Osten her
Ansteuerung der beiden Rügenbrücken mit Frachterkulisse von Osten her / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther
Wieder zurück im Nordhafen vor dem Grossaquarium des bekannten OZEANEUMS und den Speichern / © FrontRowSociety.net, Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther