Es war einmal: „Einst war der Teufel ein Engel. Doch er wurde aus dem Himmel hinausgeworfen und fiel in Småland auf die Erde. Dabei zog er eine Menge böser Geister mit hinab. Drei Tage soll es damals geregnet haben. Diejenigen, die in der Nähe von Häusern niederfielen, wurden zu Kobolden und Wichteln. Andere fielen in die Wälder und wurden zu Waldfrauen. Und aus denen, die zwischen die Berge fielen, wurden Riesen und Trolle“.
Es muss in Småland besonders viel geregnet haben – denn hier gibt es mehr Wesen und Gesindel als sonstwo in Schweden, heißt es. Tief und dunkel sind die schwedischen Wälder. Gewaltige, eigenartig geformte Steine liegen herum und regen die Fantasie an. Seit Jahrhunderten munkelt man von Trollbergen, Drachenschätzen oder Zauberbäumen. Und tatsächlich: Ist man im Morgennebel oder in der Abenddämmerung unterwegs, bemerkt man plötzlich sonderbare Schwaden und Schatten, Gestalten und unerklärliche Geräusche. Hockt dort etwa ein Gnom? Wisperte da nicht eben ein Kobold?
Smålands überwältigende Natur hat zu allen Zeiten seinen Einwohnern Anlass gegeben, in der Natur magische Kräfte zu vermuten und mit Hilfe von Geschichten nach Erklärungen zu suchen. Dabei haben sich über die Zeit Aberglauben, Christlicher Glaube und Volksglaube vermischt und großartige Märchen, Sagen, Mythen und Fabeln hervorgebracht, die bis heute erzählt werden – und sogar von der Kirche akzeptiert und miteinbezogen werden.
Von Trollen, Feen und Königskindern
In der kleinen Stadt Ljungby ist das Sagomuseet der Anziehungspunkt, nicht nur für Kinder. Viele Märchen- und Sagenfiguren sind hier dargestellt, geben weiterhin Rätsel auf oder sind sogar mit viel Mut zu „bezwingen“ wie etwa der Lindwurm.
Eine Meisterin des freien Erzählens dort ist Dörthe Drewsen: „Der Lindwurm ist eine Sagengestalt, die eigentlich aus der Alpenregion kommt – in Schweden ist es eine acht Meter lange Schlange. Ein riesiger Drache, der auf einem Schatz sitzt, sich selbst in den Schwanz beißt, rollend und stinkend durch den Wald walzt und alles platt macht“, erzählt Dörthe.
Spaziergänger sollten also Linden wohl besser meiden und sich bei einer Begegnung mit dem Ungeheuer lieber platt auf den Boden legen. Auch erzählt man sich, dass derjenige, der den Lindwurm fängt und sein Fleisch isst, die Sprache der Tiere des Waldes verstehen kann. Tatsächlich wurde 1894 eine Belohnung ausgesetzt für das Fangen des Lindwurms.
Wenn die junge Erzählpädagogin anhebt, mit überzeugender Stimme lustige oder schön-schaurige Geschichten zu erzählen, lauschen alle Besucher gebannt, mit großen Augen. Eltern fürchten oft, ihre Kinder könnten Angst bekommen angesichts der teils grausamen Inhalte. „Wenn die Kinder hier die Wahl haben zwischen lustigen oder gruseligen Geschichten, wählen sie zu 99% die Gruselgeschichten“, sagt Dörthe.
In die Gemälde im Erzählraum wurden bekannten Märchen Fehler eingearbeitet. Erfahrungsgemäß entdecken die Kinder sie schnell: „Dadurch haben sie Gelegenheit, das Märchen „richtig“ zu erzählen“, sagt Dörthe. „Das ist jedes Mal sehr beeindruckend“.
Die Geschichten gehen auf Reisen
Immer geht es um seltsame Wesen, um den König des Waldes, das Rentier. Um Riesen, um verwunschene Prinzessinnen oder Wurzeltrolle! Sogar um Heilige Bäume: Wer so einen Baum fällt, heißt es in der Mythologie, bekomme 300 Jahre unerträgliche Zahnschmerzen. „Alle Museumsbesucher nehmen mindestens eine Geschichte mit und erzählen sie weiter“, so Dörthe. 2018 erhielt das Sagomuseet die „UNESCO-Anerkennung für das immaterielle Kulturerbe, seine Arbeit zur Bewahrung der Kunst des mündlichen Erzählens“.
Im Land der Legenden
Småland ist größer als sein Name vermuten lässt. Es ist bekannt durch seine überall in der Landschaft versprenkelten, kräftig rot gestrichenen Holzhäuser. Wie viele Menschen noch immer eine getrocknete Schlangenhaut unter der Türschwelle oder geritzte Labyrinthe im Türrahmen haben, um das Böse draußen zu lassen, ist unklar.
Sieht man auf Smålands einsamen Landstraßen Menschen, die auf der linken Straßenseite gehen oder gar mit überkreuzten Beinen, könnte es sein, dass sie sich vor der scheußlichen Glotzsau in Acht nehmen. Ein Ungetüm, das mit seinen Sägezacken auf dem Rücken durch die Beine der Menschen hindurch rennt und sie in zwei Teile teilt. Es rennt immer auf der rechten Seite, erzählt man sich!
Auf halber Strecke der berühmten Landstraße E4 von Toftaholm nach Hallsjö fällt ein Schilderkasten ins Auge: Hier verunglückte im September 1986 bei Frühnebel der Bassist von „Metallica“, Cliff Lee Burton. Die Musiker haben am Vorabend unter den Bandmitgliedern um den besten Schlafplatz im Tour Bus gestritten und gewürfelt, lautet die Legende. Cliff gewann – und verlor sein Leben! Heute pilgern seine Fans an diese Stelle bei Dörarp und legen Blumen, Steine oder auch Bierdosen ab – Autofahrer fahren langsamer.
Die unsterbliche Kunst des John Bauer
Bei all diesen schönen oder geheimnisvollen Wesen spielt der schwedische Maler und Grafiker John Bauer eine große Rolle. Für den 1882 in Jönköping, Smålands Hauptstad am meeresähnlichen Vätternsee Geborenen war es vor allem der Wald, der ihn zu Naturstudien und Zeichnungen inspirierte. Später illustrierte er erfolgreich Märchen. Jedes Kind in Schweden kennt die unverwechselbaren Darstellungen seiner meist gutmutigen, neugierig blickenden Trolle, des weisen Elchs oder der grazilen Prinzessin Tuvstarr, die für immer im Waldweiher nach ihrer goldenen Herzkette sucht!
Mit dem „Jönköpings Läns Museum“ ehrt die Stadt ihren berühmten Einwohner. Auch in dieses Museum wird man sogar als Erwachsener von Bauers Darstellungen verzaubert, ja geradezu hineingesogen in das märchenhafte Geschehen. Am Eingang hängen Felle zum Verkleiden, eine kleine Bühne und bereitgestellte Märchenkostüme verlocken vor allem Kinder sofort, Geschichten zu erfinden oder nachzuspielen.
Kein Märchen ist es, dass Ende 1918 das Ehepaar Bauer mit seinem kleinen Sohn Bengt, „Putty“ genannt, an Bord eines Reise-Dampfers auf dem Vätternsee unterging – die ganze Familie Bauer ertrank. Hatte möglicherweise „Der Neck“, der Wassergeist seine Hand im Spiel?
Eine spektakuläre Schlucht
Nahe dem historischen Holzhaus-Städtchen Exjö ist die Skurugata-Schlucht wohl das seltsamste Naturphänomen Südschwedens. Eine etwa 800m lange Bruchlinie bildet einen 50m tiefen, verwunschenen Canyon. Auf diesem Wanderweg entdeckt man jahrtausendealte, bemooste Felsblöcke, klettert über Stock und Stein, über seltsam geformte Äste, die ebenso schlafende Drachen sein könnten. Überall ragen „Zauberbäume“ in den Himmel – oder sind es Waldfrauen? Gespenstisches Kraut wuchert genauso wie jede Menge Blaubeeren, die wie Gold leuchtenden Moltebeeren und dicke, essbare Pilze – doch in dem Naturreservat ist ernten verboten, das schwedische Jedermannsrecht ausgesetzt!
Zwischen Gut und Böse
Hier und da huschen Eichhörnchen, hoch oben kreisen Greifvögel. Einer der „Big Five“ ist der Seeadler, zusammen mit Elch, Kranich, Fischadler und Prachttaucher. In der nordischen Mythologie ist er der Phoenix des Nordens. Adler sterben nicht, sondern fliegen der Sonne entgegen bis ihre Federn verbrennen, so berichteten es die Wikinger. Er falle als Asche zu Boden und stehe als junger Vogel wieder auf. Das niedliche Eichhörnchen hingegen gilt als schlechter Charakter: „Es lief immer zwischen Adler und Drache hin und her – also zwischen Gut und Böse – überbrachte und verfälschte die Nachrichten und schürte so den Streit zwischen Gut und Böse“.
Es ist also immer gut, besonders in Småland, sich mit den Schutzgeistern des Waldes gut zu stellen – und durch gutes Benehmen Vorteile zu haben. Und da das Böse sowieso nur geradeaus laufen kann, so Märchenerzählerin Dörthe Drewsen, ist es immer gut, vor unheimlichen Erscheinungen besser im Zick Zack wegzulaufen.
Hier geht es zum Artikel: „Märchenhaft logieren in Småland“ – Vier außergewöhnliche Herbergen“
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