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Rodolfo Gúzman, der kreative Küchenchef des Restaurant Borago in Santiago de Chile, zaubert die Aromen der Atacama-Wüste in den Rheingau!

Rodolfo Gúzman, ein renommierter Koch aus Chile, führt das Restaurant Boragò in Santiago de Chile an und wurde auf Platz 5 der „50 besten Restaurants Lateinamerikas“ gelistet. In seinem Restaurant präsentiert er unentdeckte oder wiederentdeckte indigene Zutaten der chilenischen Küche und bereitet sie mit Finesse zu. „Chile verfügt entlang seiner 4.000 km langen Küste über eine unglaubliche Vielfalt an Produkten, und dieses Potenzial möchte ich mit meiner Küche ausschöpfen“, sagt Rodolfo Gúzman. Beim Rheingau Gourmet und Wein Festival ist der Starkoch mit dem weitesten Anreiseweg mehrmals präsent. Sowohl bei der Willkommensparty als auch beim Gala-Dinner und während einer Kochvorführung präsentiert er genau das, wofür sein Kochstil steht: Zutaten aus der reichen Vegetation Chiles, sehr spezielle Garmethoden und eine minimalistische Präsentation.

Rodolfo Gúzman und die Innovation in der Kochkunst

Die Kochszene in Südamerika erlebt derzeit einen starken Aufschwung. Während es hier keine Michelin-Auszeichnungen gibt, schwärmen Gourmetfans von einem Kochstil, der sich nicht auf Luxusprodukte stützt, sondern ungewöhnliche Garmethoden und Zutaten in den Mittelpunkt stellt. Rodolfo Gúzman kocht radikal modern, bewahrt jedoch gleichzeitig die chilenischen Traditionen der Ureinwohner.

Am Morgen seines Galadinners, das er gemeinsam mit Simon Stirnal, dem Gastgeber und Chefkoch des Kronenschlösschens, gestaltet, beginnt die Vorbereitung für den Hauptgang des Abends. Auf der Speisekarte steht später: Lamm auf „Patagonische Art“. Was es damit auf sich hat, können die Gäste persönlich beobachten, denn die Patagonische Grillstation wird direkt am Eingangsbereich aufgebaut. Dazu hat Gúzmans Team zwei spezielle Grillgestelle mitgebracht, die es ermöglichen, das Fleisch umgekehrt von innen nach außen zu garen. Das Patagonische Lamm ist ein anschauliches Beispiel für die besonderen Garmethoden, die auf die Bräuche der Mapuche, der südchilenischen Ureinwohner, zurückgehen. Ursprünglich waren diese Konstruktionen aus Holz. Im Boragó in Santiago de Chile sind sie ständig im Einsatz, und Gúzman hat eine robuste Variante aus Edelstahl entwickelt.

Die Magie der Atacama-Wüste!

Während die Holzkohle entzündet wird, entsteht Raum für Gespräche über die Besonderheiten der chilenischen Andenküche.

„In meinem Restaurant geht es um kontinuierliche Weiterentwicklung“, sagt Guzman. „80 Prozent der Chilenen sind Ureinwohner, und wir haben Mapuche-Blut in uns. Mit dokumentierten 13.000 Jahren sind die Mapuche die ältesten Ureinwohner Amerikas. Chile ist im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern sehr kalt. Patagonien ist voller Büsche und sehr flach. Unsere Ozeane sind kalt, auch im Sommer hat das Wasser nur 10 Grad. Aber wir lieben es, in diesem kalten Wasser zu schwimmen. Santiago liegt in der Mitte des Landes. Unsere Küste ist voller Steine. Und die Atacama-Wüste“, schwärmt Guzman, „ist ein magischer Ort. Dort herrscht eine Luftfeuchtigkeit von nur 30 Prozent. Die Vegetationszyklen sind ungewöhnlich. Der Sommer drückt sich anders aus als der Winter und der Frühling.“

Rodolfo Gúzman: Mein Restaurant war die ersten fünf Jahre gähnend leer!

Hinter seinem Restaurant, dem Boragó in Santiago de Chile, stehen mittlerweile 200 Produzenten als Zulieferer. Chile unterscheidet sich mit seiner langen Küste deutlich von anderen südamerikanischen Ländern. Zwischen 2.500 und 5.000 Metern Höhe wachsen hier viele verschiedene Pflanzen. Gúzman erforschte die indigene Pflanzenwelt seines Landes über viele Jahre hinweg und begann sogar in der Atacama-Wüste, ihm unbekannte Pflanzen zu probieren.

„Mein Restaurant war die ersten fünf Jahre völlig leer. Die Leute wollten japanischen Fisch und italienische Trüffel. Aber Mapuche-Essen wollte niemand sehen.“

Im Jahr 2013 gelang Rodolfo Gúzman der Durchbruch mit seinem Restaurant.

Im Jahr 2013 änderte sich die Nachfrage dann schlagartig. Heute kommen Gäste aus aller Welt, die das Boragó besuchen möchten. Zu den rund 200 Mitarbeitern, die für das Boragó arbeiten, pflegt Rodolfo Gúzman und sein Team fast familiäre Beziehungen. „Am Anfang“, berichtet er, „haben unsere Zulieferer die Lebensmittel in schäbigen Kisten geliefert und schlecht behandelt. Das mussten wir ändern. Wir müssen unsere Zutaten mehr achten. Also sind wir von Lieferant zu Lieferant gezogen und haben ihnen gezeigt, wie sie ihre eigenen wertvollen Produkte behandeln sollen.“

Santiago de Chile ist ein Paradies für Köche

„Heute bauen wir unser eigenes Gemüse an, wir haben einige der wilden Pflanzen näher an das Restaurant geholt und bauen sie mit großem Erfolg an. Es war jedoch ein Lernprozess von 10 Jahren. Erst im letzten Jahrzehnt begannen wir zu kochen, davor war es ein ständiges Lernen und Experimentieren.

„Santiago ist ein Paradies für Köche“, schwärmt Gúzman. „Die Blüte bestimmter Pflanzen, mit denen wir arbeiten, dauert nur zwei bis drei Wochen. Santiago liegt wie eine große Senke zwischen Bergen. Nur 45 Minuten entfernt befinden sich große Skigebiete. Aber in der Stadt spürt man die einzigartige Lage von Santiago. Jetzt im Winter ernten wir einen ganz besonderen Pilz, der zwei Meter hoch in den Bäumen wächst. Dafür haben wir ein spezielles Werkzeug gebaut. An nur einem Tag er nten wir 30 kg – im Winter und mitten in der Großstadt!

Die Zeit zwischen Winter und Frühling: ein kurzer Moment voller Blüte

An der Küste gibt es jedoch nicht nur Steine. Zwischen den Steinen wächst eine Art Steinklee, halb Alge, halb Pflanze, dessen Blätter so dick sind, dass man ihn braten kann.

Dass sich Rodolfo Gúzman viele Jahre mit den indigenen Pflanzen Chiles beschäftigt hat, merkt man an jedem Wort, das aus ihm heraussprudelt. Er berichtet von dem kurzen Zeitfenster zwischen Winter und Frühling, wenn die Blüte vieler Pflanzen wie eine Woge über das Land zieht. Diese Blüte findet sich dann auch auf der Speisekarte des Boragó wieder: Artischocken, Brennnessel, Jujos (ein wilder Spargel), Kaktusblüten, Löwenzahn. In dieser Zeit riecht es anders, feucht und erdig und ein wenig nach Honig, sagt Gúzman.

Die Zähmung des wilden chilenischen Spargels

Die indigene Küche Gúzmans ist teilweise extrem aufwändig und arbeitsintensiv. Dies zeigt sich bereits, wenn man ihn und sein Team beim Festival beobachtet. Das Patagonische Lamm mit einer Garzeit von einem ganzen Arbeitstag ist nur ein Beispiel dafür. Ein anderes ist der wilde Spargel, von dem Gúzman sagt, dass er die schwierigste Pflanze ist, die er bisher in der Küche unter Kontrolle gebracht hat. Er ähnelt einer Senfpflanze, ist schwer zu ernten, seine Blätter haben Nadeln, er ist schwierig zu kochen, aber sehr fein und weich. Nach zehn Jahren hat er endlich herausgefunden, wie man ihn zubereitet. Die Textur des wilden Spargels ist durchsichtig und grün, ähnlich wie mit Butter gebraten. Die Nadeln der Blätter werden mit einem Bügeleisen geglättet und mit Entenfett gebraten. Der chilenische Name dafür ist Jujos. Man muss den Jujos ernten, wenn die ersten Blüten gerade herauskommen, dann steckt noch die ganze Energie in der Pflanze.

Zehn Stunden später – das Abendessen kann beginnen

Aufgrund der aufwändigen Zubereitung und der Verwendung indigener Zutaten aus Chile ist es notwendig, dass der Chefkoch des Hauses, Simon Stirnal, die ersten beiden von insgesamt fünf Gängen bestreitet. Das Team um Stirnal muss viel Unterstützung leisten, da Chile nur mit einem Dreier-Team vertreten ist. Bei der Zubereitung von über 100 Menüs für ein Gala-Dinner werden deutlich mehr Hände benötigt.

Das Gala-Dinner mit Moderation von David Schwarzwälder

Durch den Abend führt der Moderator David Schwarzwälder. Er ist ein Experte für spanische Weine und spricht fließend Spanisch. David Schwarzwälder ist nicht nur als Autor, Journalist oder Verleger in der Weinwelt bekannt, sondern teilt sein außergewöhnliches Fachwissen über iberische Weine auch mit dem jungen, aufstrebenden Nachwuchs als Dozent an der Universität Geisenheim und der Fachhochschule Wädenswil in der Schweiz.

Der erste Gang von Simon Stirnal ist ein Tatar vom Wolfsbarsch mit Ingwer, Tapioka und Radieschen. Dieser leichte Auftakt, mit der Schärfe von Ingwer und dem frühlingshaft-frischen Radieschen, wird von zwei Weinen begleitet: einem 2015 Hermansberg Steinterrassen Riesling trocken vom Gut Hermannsberg und einem 2010 Rüdesheimer Berg Rottland vom Weingut Johannes Leitz.

Der zweite Gang des Abends stammt ebenfalls von Gastgeber-Koch Simon Stirnal. Er bereitet ein Sot-l’y-laisse vom Kikok-Huhn mit blauen Kartoffeln und schwarzem Périgord-Trüffeln zu.

Und die beiden begleitenden Weine sind ebenso bemerkenswert: ein 2013 Rüdesheimer Berg Keisersteinfeld, feinherb vom Weingut Johannes Leitz, sowie ein 2004er Hattenheim Pfaffenberg, Riesling, erstes Gewächs, vom Domänenweingut Schloss Schönborn.

Nach den beiden wunderbaren Gängen von Simon Stirnal trifft nun mit dem dritten Gang erstmals die indigene chilenische Küche auf den Festival-Gast. Und genau hier kommen Gäste, die nicht auf den Koch und seine besondere Interpretation der Landesküche vorbereitet sind, mit einem Stein, genauer gesagt einem Kieselstein, in Berührung. Zum Glück erläutert Moderator David Schwarzwälder, wie man das „pure de rocas“ auf Steinsud von Isla Negra handhabt.

Der Stein dient nicht nur als Trägermaterial, sondern ist auch das Medium einer weiteren besonderen Garmethode von Rodolfo Gúzman: Der Stein wird erhitzt und gart dann das aufgetragene Bohnenpürree.

Die Consommé, die um den Stein gegossen wird, stammt von einer Pflanze, die nicht einmal von den Ureinwohnern Chiles, den Mapuche, bekannt war. Es ist die Wurzel einer Algensorte, die an der steinigen Küste Chiles wächst. Sie schmeckt fermentiert und erinnert ein wenig an Sojasauce. Um das Bohnenmus vom Stein zu essen, kratzt man die Paste einfach mit einem Löffel vom Stein.

Um die minimalistischen Darbietungen des chilenischen Starkochs zu verstehen, ist es äußerst hilfreich zu wissen, mit welcher Akribie und Ausdauer er über viele Jahre hinweg die indigenen Pflanzen seines Heimatlandes studiert hat. Zudem kann aufgrund der großen geografischen Entfernung nur ein kleiner Ausschnitt seiner aufwändigen Küche auf dem Festival gezeigt werden. Wenn man jedoch ein Menü in seinem Stammhaus in Santiago de Chile bucht, erwartet einen ein Menü mit 16 bis 20 Gängen, kleine Portionen, deren Verzehr nicht mehr als sechs Stunden dauert, sondern höchstens die Hälfte davon.

Nachdem bereits viel über das ungewöhnlich servierte Bohnenmus auf Kieselstein diskutiert wurde, brachte der bereits an der Grillstation viel bestaunte Hauptgang die Diskussion auf

Hochtouren. Dem kleinen Stück Fleisch mit drei Blumen an der Seite konnte man die zeitaufwendige Zubereitung weder ansehen noch herausschmecken. Dieser Gang funktioniert tatsächlich nur, wenn man thematisch gut vorbereitet ist.

Zwei Rotweine begleiten das Lamm: ein 2011er La Montesa von den Bodegas Palacios Remondo und ein 2011er Errazuriz Don Maximiniano aus dem Aconcagua Valley in Chile.

So einfach der Fleischgang auch erscheinen mag, umso opulenter wirkt der Dessertgang, von dem Rodolfo Gúzman sagt, dass es eigentlich zwei Desserts in einem sind.

Dieses Dessert spiegelt die Faszination wider, die die Wüstenlandschaft auf Gúzman ausübt. „Die Dinge passieren in der Wüste auf einzigartige Weise“, sagt er. „Was immer wir in der Wüste an Pflanzen probierten, schmeckte köstlich. Desserts sind für uns sehr wichtig. Manchmal servieren wir fünf Desserts, und sie können auch mal bitter oder adstringierend sein.“

Die Rose des Jahres blüht nur, wenn es in der Wüste regnet. Das passiert nicht jedes Jahr. Wir haben Partner, die diese Blüten für uns pflücken, wenn es soweit ist. Auf 4.500 Metern wächst Rica-Rica, eine Pflanze, die leicht salzig schmeckt und aus der wir ein Öl gewinnen. Es ist eine Aromenexplosion. „Wir wollen provokativ und neu sein, und wir brauchen keinen Zucker. Wir ersetzen Süße durch Umami“, erklärt Gúzman. Die Rose des Jahres: Das alles steckt in diesem wirklich köstlichen Dessert, zu dem es auch eine ganz besondere Weinbegleitung gibt: einen 1989er Hattenheim Nussbrunnen, Riesling Auslese vom Domänenweingut Schloss Schönborn.

Als Digestif an diesem kontrovers diskutierten Dinnerabend wird ein Tawny Port 10 Jahre alt, Quinta de Ervamoira von Ramos Pinto, gereicht.

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